Hellgrün, türkis, blaugrün gemischt mit ein bisschen azurblau. Fließend gehen die verschiedenen Farbtöne des Drachensees ineinander über. Aus der Vogelperspektive betrachtet erscheint der kleine See wie ein funkelndes Juwel inmitten der rauen Felslandschaft. Seelenruhig schlummert er in einer Mulde, welche von mächtigen Gipfeln überragt wird. Sie geben dieser einzigartigen Naturkulisse einen krönenden Rahmen.
Die Ehrwalder Sonnenspitze erhebt sich pyramidenartig in den Himmel. Winzig klein leuchten die gelben Sonnenschirme der Coburger Hütte in der Ferne. Zugegeben habe ich schon viele grandiose Aussichten genossen, doch dieser Anblick ist etwas, das man nur selten zu sehen bekommt. Noch ein letztes Mal sauge ich diese naturwürzige Luft ein, bevor wir uns an den Abstieg wagen.
Berg | Hinterer Tajakopf 2408 m Ehrwald, Tirol |
Wandern | Schwierigkeit: schwerer Bergweg mit Kletterstellen im I. Schwierigkeitsgrad Dauer: 7,5 Stunden Länge: 14,5 Kilometer Aufstieg: 1000 Höhenmeter (ab Bergstation Ehrwalder Almbahn) Abstieg: 1400 Höhenmeter (bis Talstation Ehrwalder Almbahn) Höhenprofil & Karte |
Hütte | Coburger Hütte |
Anfahrt | Gebührenpflichtiger Parkplatz Talstation Ehrwalder Almbahn Informationen zu den Parkplatzgebühren Zum Google Maps Routenplaner |
Inhaltsverzeichnis
Neue Perspektive
Zügig segeln wir über die Baumwipfel hinweg. Zwischen Wettersteingebirge und Mieminger Kette überwinden wir in wenigen Minuten satte 400 Höhenmeter. Mit einem Ruck erreichen wir die Bergstation und springen motiviert aus der Gondel. Von hier aus starten wir unsere Tour zum Hinteren Tajakopf und folgen zunächst dem „Koatiger Weg“ in den Wald hinein. Alternativ kannst du auch über den Forstweg vorbei am Gasthof Alpenglühn wandern. Schließlich gelangen wir zur Abzweigung des Ganghofersteiges, welcher über Schottergelände und felsdurchsetzte Wiesen hoch zum Brendlsee führt.
Während es unter meinen Füßen bröselt und bröckelt, höre ich in der Ferne ein aufgeregtes Blöken. Bereits kurze Zeit später mustern uns zahlreiche neugierige Augenpaare. Wir marschieren im Schatten der Felswand zügig an der Schafherde vorbei.
Der glasklare und eiskalte Brendlsee ist der erste und kleinste See des heutigen Trios. Er liegt am östlichen Fuße des Tajakopfes und leuchtet in schönen Türkistönen. Die Berge entschwinden immer wieder im Nebelschleier, der sich wie ein Schal um ihre Gipfel legt. Ich bleibe kurz stehen und genieße die friedliche Idylle fernab von Hast, Eile und Unruhe. Hier atmet meine Seele auf und macht der Entspannung Platz.
Im Abseits
Über die Geröllwüste des Brendlkars leitet uns der Weg weiter nach Südwesten zum Hinteren Tajatörl. Vom Normalweg zweigt plötzlich ein schmaler Pfad ab, der in direkterer Linie hoch zur Scharte führt. Wir blicken uns an. „Glaubst du, dass wir dort hochgehen können?“, frage ich unsicher. „Ich denke schon. Spart uns auf alle Fälle Zeit“, lautet die pragmatische Antwort. Nach kurzer Überlegung sind wir uns einig. Wir probieren es. Spontan biegen wir nach rechts ab und folgen dem ausgetretenen Pfad. Zunächst läuft alles wie am Schnürchen. Es scheint, als würde die Rechnung aufgehen.
Doch kurz vor Schluss legen sich uns im wahrsten Sinne des Wortes ein paar Steine in den Weg. Vor uns eröffnet sich plötzlich nur mehr ein steiles, wegloses Schuttfeld. Bei jedem Schritt scheinen die Füße wegzurutschen. Auf wackeligen Beinen und mit den Handflächen den Boden berührend, kämpfe ich mich hoch. Mein Herz pocht und meine Beine zittern. Meine Nerven liegen kurzzeitig völlig blank, während sich die Anspannung in leichte Panik wandelt.
Total aufgewühlt und schweißgebadet erreichen wir schließlich die Scharte. Dass dieses Unterfangen keine gute Idee war, wissen wir beide. Zum Glück ist alles noch einmal gut gegangen. Ich hole einen tiefen Atemzug und beruhige mich langsam. Der Schreck sitzt mir noch in den Knochen. Meine Lektion habe ich auf jeden Fall gelernt. Man bleibt entlang der Markierungen – egal, wie verführerisch eine Abkürzung erscheint.
Mitten im Märchenland
Zurück am ursprünglichen Weg nehmen wir den letzten Anstieg in Angriff. Der breite Grasrücken geht bald in steiles, brüchiges Felsgelände und leichte Kletterei über. Immer wieder nehme ich die Hände zu Hilfe. Wähle meinen Griffe und Tritte mit Bedacht. Zuerst erreichen wir den mit einem winzigen Kreuz geschmückten Vorgipfel. Um zum Hauptgipfel zu gelangen, klettere ich über eine ausgesetzte Stelle in eine Scharte hinab. Mit festem Händedruck umklammere ich das Stahlseil, welches aus dieser wieder heraus führt. Als letztes Hindernis stellt sich mir ein plattiger Felsblock in den Weg, den ich aber problemlos überwinde. Zum Gipfelkreuz ist es jetzt nur mehr ein Katzensprung.
Die faltigen Felsgiganten der Mieminger Kette scharen sich wie ein Schutzwall um den Drachensee. Dieser sticht als türkiser Farbtupfer aus der Fels- und Geröllwildnis hervor. Sonnenspitze, Vorderer Drachenkopf und Griesspitze zeigen uns ihre zerfurchten Flanken. Alles scheint perfekt aufeinander abgestimmt zu sein. Wie in einem Landschaftsgemälde eines großen Impressionisten. Ein märchenhafter Anblick, der meinen Augen eine wahre Freude bereitet.
Das versunkene Dorf
Ich setzte mich in die Nähe des Kreuzes und lasse die Stimmung auf mich wirken. Strecke meine Hände in die Höhe, dehne meine angestrengten Muskeln und schließe kurz die Augen. Es fühlt sich an, als würden die Berge eine Gelassenheit ausatmen, die ich sogleich aufnehme. Ganz ruhig stehen sie da und lassen sich durch nichts erschüttern. Schon bald spüre ich eine tiefere Verwurzelung mit mir und meinem Körper. Obwohl ich ein wenig erschöpft bin, durchströmt mich eine neue Welle der Energie.
Es wird Zeit, dass wir uns wieder auf den Weg machen. Unser nächstes Zwischenziel ist die Coburger Hütte. Mehrere Serpentinen führen uns über geröllübersäte Wiesen durch das Drachenkar, sodass wir uns immer weiter dem sagenumwobenen Drachensee nähern.
Einer Erzählung nach soll sich an der Stelle des heutigen Drachensees ein Dorf befunden haben. Als ein armer alter Mann Obdach suchte, wurde ihm diese von niemandem gewährt. Stattdessen wurde er davongejagt, verfluchte das Dorf und irrte so lange in der Kälte umher, bis er verstarb. Daraufhin bildete sich ein See, in dem das Dorf mitsamt seinen übermütigen und geizigen Bewohnern versank und noch heute ruht. Die Bewohner können das Dorf und den See jedoch nicht verlassen, da über beides ein wilder Drache wacht.
Traumkulisse am Seebensee
Dem Drachen begegnen wir zum Glück nicht. Stattdessen kehren wir in der malerisch gelegenen Hütte am Ufer des Sees ein. Hier lassen wir uns das köstliche Essen bei Sonnenschein auf der Terrasse schmecken, bevor wir zum letzten Wegstück aufbrechen. Durch Latschenfelder windet sich ein Steig zum Kessel, in dem der Seebensee liegt. Der türkis leuchtende See ist ein wahrer Besuchermagnet, doch heute bleiben wir vom Trubel verschont. Während sich in die eine Himmelsrichtung das Wettersteingebirge in der glasklaren Seeoberfläche spiegelt, recken in die andere Richtung die Gipfel der Mieminger Kette ihre Zacken in die Lüfte. Wir spazieren gemütlich am Ufer entlang und beobachten, wie die Enten ihre Kreise am Wasser ziehen.
Unweit des Sees beginnt schließlich die Steiganlage des sogenannten „Hohen Gangs“. Dabei handelt es sich um einen steilen, ausgesetzten und teilweise mit Drahtseilen und Trittstiften versicherten alpinen Abstiegsweg über Felsplatten, Felsstufen und Schotter. Alpine Erfahrung, Trittsicherheit und Schwindelfreiheit sind für diese Abstiegsvariante unbedingt erforderlich.
Über Fels und Stein
Ein schöner Aussichtspunkt am Weg ist die „Coburger Rast“, die mit einem Tisch und einer Bank zur Verschnaufpause lädt. Der Hohe Gang verlangt insgesamt noch einmal höchste Konzentration. Und obwohl ich schon den Parkplatz herbeisehne, bleibe ich stets fokussiert bei der Sache. Wir mühen uns über die letzten Stufen nach unten und gelangen schlussendlich wieder an unseren Ausgangspunkt. Der Blick auf die Uhr offenbart, dass wir natürlich nicht ganz so schnell waren wie erhofft. Es liegen jetzt noch rund drei Stunden Autofahrt nach Hause vor uns. Aber das ist uns in diesem Moment egal. Was zählt, ist, dass wir einen herrlichen Tag und eine fantastische Tour hatten, die jede Minute wert war.
Fazit zur Tour: Der Hintere Tajakopf punktet mit einem wahnsinnig schönen Tiefblick auf den Drachensee, die Coburger Hütte und zur Ehrwalder Sonnenspitze. Er ist einfacher zu besteigen als sein Nachbar, der Vordere Tajakopf, dessen Normalweg über Kletterstellen bis zum 2. Schwierigkeitsgrad führt. Nichtsdestotrotz weist auch der Hintere Tajakopf Schrofenstellen und ausgesetzte Passagen auf. Die Gegend um die Coburger Hütte ist zudem wegen ihrer anspruchsvollen Klettersteige bekannt. Besonders populär ist der schwierige Tajakante-Klettersteig (D/E) auf den Vorderen Tajakopf. Auf den Hinteren Tajakopf führt der nicht weniger herausfordernde kurze Coburger-Klettersteig (D/E), welcher mit dem Tajakante-Klettersteig kombiniert werden kann. Darüber hinaus gibt es noch den Seeben-Klettersteig (D/E), der ebenfalls eine extreme Schwierigkeit aufweist.