Als wir vollbepackt am Arthur-von-Schmid-Haus eintreffen, begrüßt uns zuallererst ein weißes Wollknäuel. Der Hüttenhund schmieg sich an meine Beine und ich vergrabe meine Hände in seinem weichen Fell. In der urigen Stube ist es ruhig. Die blau-weiß karierten Vorhänge kontrastieren das dunkle Holz. Ich sehe mich um und entdecke an der Wand ein Bild von Arthur von Schmid. Das großzügige Erbe des Grazer Handelsakademie-Direktors ermöglichte Anfang des 20. Jahrhunderts den Hüttenbau. Eingerahmt in einem dicken, opulenten Goldrahmen blickt der adrett gekleidete Herr auf die Gäste hinab.
Die Frau des Pächters, Pia, grüßt uns mit einem breiten Grinsen. Herzlich, bodenständig und mit deutschem Akzent. Ihre sympathische Art am Telefon bestätigt sich auch im persönlichen Gespräch. Und als ob es nicht mehr besser laufen könnte, bekommen wir auch noch ein Zimmer-Upgrade. Unter dem Knarren der Treppe marschiere ich hoch in den ersten Stock – zu unserem Doppelzimmer mit integriertem Bad. Luxus pur auf 2281 Metern Seehöhe, sogar mit eigenem Föhn!
Berg | Säuleck 3086 m Mallnitz, Kärnten |
Wandern | Schwierigkeit: schwerer Bergweg Dauer: 9 bis 10 Stunden Länge: 19 Kilometer Aufstieg/Abstieg: 1650 Höhenmeter Höhenprofil & Karte |
Hütte | Arthur-von-Schmid-Haus |
Anfahrt | Gebührenpflichtiger Parkplatz im Dösener Tal Die Parkgebühr beträgt 5 Euro an Werktagen bzw. 8 Euro an Samstagen sowie Sonn- und Feiertagen. (Stand 2022) Zum Google Maps Routenplaner |
Inhaltsverzeichnis
Blick für die kleinen Dinge
Der Weg hinauf in dieses Idyll wird begleitet vom ständigen Plätschern des Dösenbachs. Vorbei an der Eggeralm erreichen wir bald die Konradhütte mit der Konradlacke. Die rustikale Dekoration an den Wänden verleiht ihr einen Knusperhäuschen-Charme. Eine Hexe begegnet uns zum Glück nicht. Stattdessen wirft mir ein Kälbchen neugierige Blicke zu. Am Ufer lehnt ein Kanu. Ich atme tief durch. Schüttle den Alltag ab. Bereitwillig strecke ich der Natur meine Hände entgegen und lasse mich von ihrer Aura fesseln.
Immer weiter folgen wir dem Blockgletscherweg, einem Lehrpfad, bis zu den Dösener Hütten. Wir wandern eine bewaldete Hangstufe hinauf. Auf einmal werde ich achtsamer. Öffne mein Blickfeld. Sehe Dinge, denen ich sonst zu wenig Beachtung schenke. Den knallroten Fliegenpilz. Zarte Blüten und extravagante Blätter. Knorriges Wurzelgeflecht. Das Dickicht lichtet sich. Wir treffen auf eine weitläufige Almfläche.
Gletscher der anderen Art
Eine Besonderheit des Dösentals ist der sogenannte Blockgletscher, der sich zwischen dem östlichen Seeufer und der Mallnitzer Scharte befindet. Dabei handelt es sich um typische Permafrosterscheinungen. Was auf den ersten Blick wie ein Schuttfeld aussieht, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als Schutt-Eis-Gemisch, das als Blockhalde kriechend zu Tale fließt.
Im Herzen einer malerischen Moorlandschaft scheint man sich mit jedem Schritt noch weiter von sämtlichen Lasten zu entfernen. Inmitten eines Teppichs aus orangegelben Almböden zieht sich der Wanderweg hoch in ein wasserreiches Becken, den sogenannten „Lackenboden“. Über eine Holzbrücke und mehrere Kehren erreichen wir eine Geländekante, von der es nicht mehr weit zum Arthur-von-Schmid-Haus ist.
Die roten Fensterläden leuchten uns entgegen. Die Terrasse am Ufer lädt zum Verweilen ein. Der Dösener See, der zweitgrößte Bergsee Kärntens, liegt umgeben von den Dreitausendern der Ankogelgruppe am Rande des mächtigen Blockgletschers. Der Lohn der Aufstiegsmühe: wohltuende Stille und eine verträumte Aussicht auf das tiefblaue Wasser.
Kindheitserinnerungen
„Komm schon. Eine Partie machen wir noch.“, sage ich mit einem verschmitzten Lächeln. Es ist ewig her, seit ich zuletzt Memory gespielt habe und offensichtlich habe ich vergessen, wie viel Spaß es mir bereitet. Gleichzeitig wird mir bewusst, wie wenig man eigentlich braucht, um einen schönen Abend zu verbringen. Gute Gesellschaft, ein Spieleklassiker und schon hat man die Welt um sich herum vergessen.
Nach dem Frühstück starten wir am nächsten Tag sogleich in Richtung Säuleck. Der 3086 Meter hohe Gipfel ist bei vielen als „Damendreitausender“ verpönt. Zwar ist das Säuleck ein leichterer Dreitausender, dennoch sollte man den Normalweg aufgrund von vereinzelten Schneefeldern, Blockgelände und seiner Länge nicht unterschätzen. Der Weg beginnt gleich hinter der Hütte und führt über einen steilen Gras- und Geröllhang hinauf zur Hochfläche der Seealm.
Die Macht der Stille
Schon nach kurzer Zeit ist nur mehr ein Farbton vorherrschend: Felsgrau. In den frühen Morgenstunden werden die Felsbrocken von den warmen Sonnenstrahlen geküsst. Wir sind fast alleine unterwegs. Es fällt mir schwer zu beschreiben, was genau den Zauber dieser frühen Stunden ausmacht. Die friedvolle Ruhe? Die Einsamkeit? Auf jeden Fall etwas, dass ich heute als rares Gut bezeichnen würde. Es ist einer dieser Momente, in denen mir bewusst wird, dass ich mich weit weg von allem Gewohnten befinde. Aber suche ich nicht genau das, wenn ich in die Berge gehe?
Und obwohl es mucksmäuschenstill ist, scheint es, als könne man diese natürliche Stille „hören“. Umso lauter erscheint auf einmal die innere Stimme, der Raum scheint sich zu weiten und man tritt ins Zwiegespräch mit sich selbst. Befreiend und trotzdem auch herausfordernd.
Im Reich der Tauernkönigin
Wir haben mittlerweile die grasigen Hänge hinter uns gelassen. Während wir über Gletscherschliffplatten, Geröll und Blockhalden immer weiter bergaufwärts wandern, eröffnet sich ein herrlicher Ausblick auf den See und die Hütte, welche von hier oben winzig klein erscheint. Wie Gämse tänzeln wir über die riesigen Steine. Der Gipfel ist in der Zwischenzeit zusehends näher gerückt. Eine breite markante Rinne zeigt uns den Weiterweg an und führt uns über einen zersplitterten Felsrücken bis zur Grazer Scharte. Richtung Norden folgen wir dem Steig nun über grobes Blockwerk zu einer beschilderten Abzweigung. An dieser Stelle könnte man zum Detmolder Steig der Hochalmspitze abbiegen.
Die Umgebung wirkt menschenfremd. Als ich mich umsehe, muss ich an tosende Wellen denken. Nur dass wir hier nicht von Wasser, sondern von rauen Felsen umgeben sind. Abgeschieden und weit weg von Zivilisation und Bequemlichkeit sucht man vergebens nach Ablenkungen. Meine ganze Aufmerksamkeit wird der Natur zuteil. Gedankenfetzen poppen auf. Und verschwinden wieder. Machen Platz für das Innehalten, ein Durchatmen. Liefern Halt und inneren Frieden in einer Welt, der es oft nicht schnell genug gehen kann.
Ich wende mich nach rechts und da steht sie in ihrer ganzen Pracht vor mir: die Hochalmspitze. Oft auch Tauernkönigin oder Hochalmer genannt. Im Gletschereis zeichnen sich tiefe Furchen und Spalten ab. Ganze vier Gletscher – das Trippkees, das Winkelkees, das Großelendkees und das Hochalmkees – umrahmen das wuchtige Blockwerk. Hauchdünne Grate spitzen sich bis zum Gipfel zu. Es scheint, als würde die Königin ihre Flügel in alle vier Himmelsrichtungen ausbreiten. Unter die Begeisterung mischt sich ein wenig Sehnsucht. Noch ist die Herrscherin der Tauern eine Nummer zu groß. Doch der Gedanke an ihre Besteigung spornt mich an, das Beste aus mir herauszuholen.
Die Kraft der Berge
Vorerst genügt mir aber der Gipfel des Säulecks. Nur langsam geht es über Schutt und Blockgestein des Südgrates in zahlreichen Kehren hinauf zum Gipfelaufbau. Endlich oben angelangt, setze mich unterhalb des Gipfelkreuzes auf einen Felsen und schaue in die Ferne. Vor mir liegen Ankogel und Hochalmspitze zum Greifen nahe. Die weitläufige Sicht reicht von der Goldberg- und Reißeckgruppe bis zum Großglockner.
In jenem Augenblick ist diese unglaubliche Leichtigkeit wieder spürbar. Befreit von jeder Vergangenheit und Zukunft. Und obwohl man den Naturgewalten ausgeliefert ist, fühlt es sich inmitten dieser wilden Landschaft einfach so unbeschreiblich gut an. Der dichte Nebel im Kopf lichtet sich und es herrscht eine angenehme Klarheit. Schon die Atmosphäre hier oben, weit weg vom Lärmen der Welt, macht süchtig. Die stumme Gegenwart der Berge bringt einen immer wieder ein Stückchen zu sich – selbst, wenn man sich im Chaos des Alltags ein wenig verloren hat.
Fazit zur Tour: Das Säuleck ist ein herrlich unaufgeregter Dreitausender mit phänomenalem Bergsee-Panorama. Die Route führt jedoch (je nach Jahreszeit) teilweise über Firnfelder sowie unwegsames Blockgelände. Durch das auf halbem Wege gelegene Arthur-von-Schmid-Haus kann die lange Tour gemütlich auf zwei Tage aufgeteilt werden. Für jene, die nach einem größeren Adrenalinkick suchen, empfiehlt sich der luftige und sehr schwierige Säuleck-Klettersteig (D/E) über den Süd- und Westgrat. Egal, für welche Aufstiegsvariante du dich entscheidest – die einsame und gewaltige Naturkulisse wird dein Herz auf jeden Fall im Sturm erobern.
Die Zweitagestour im Überblick: