Schon länger geistert ein Gedanke durch meinen Kopf. Ein zarter Samen, der im Laufe der Zeit immer tiefere Wurzeln in mein Denken schlug. Zum ersten Mal auf einem Dreitausender stehen. Die dünne Höhenluft schnuppern und mitten im Sommer die Hände im Schnee vergraben. Es ist August. Ich stehe am Hochkönig, nur 59 Meter unterhalb der Dreitausendermarke. Die letzten Gletscherreste fristen ihr Dasein in den Mulden des Felsplateaus. Die Welt hier oben erscheint mir anmutig und fremd zugleich. Gepackt von Abenteuerlust und vom Entdeckergeist getrieben, schmiede ich Pläne für meinen ersten Dreitausender. So schnell wie möglich, am liebsten noch heuer. Jedenfalls vor meinem 30. Geburtstag. Doch der Sommer vergeht und die Sehnsüchte nach den felsigen und eisigen Höhen bleiben. Zu wenig Zeit. Zweifel an der eigenen Ausdauer. Es sollte nicht sein.
Inhaltsverzeichnis
Gut Ding will Weile haben
Zwischen diesem Moment und heute liegen ein Umzug nach Salzburg sowie zahlreiche Gipfelkreuze. Unzählige Höhenmeter, um meinem Ziel endlich einen Schritt näher zu kommen.
Berg | Hochschober 3242 Meter Ainet, Tirol |
Wandern | Schwierigkeit: alpine Route mit Kletterstellen bis II. Schwierigkeitsgrad Dauer: 8 Stunden Länge: 15,2 Kilometer Aufstieg/Abstieg: 1640 Höhenmeter Höhenprofil & Karte |
Hütte | Hochschoberhütte |
Anfahrt | Parkplatz Leibnitzbachbrücke Zum Google Maps Routenplaner |
Der große Tag
Es ist früh morgens und die Nebelschwaden klammern sich mit aller Kraft an die dunkelgrauen Felsspitzen. Ich bin ein wenig aufgeregt. Denn heute ist es endlich so weit. Ich sitze im Eingangsbereich der Hochschoberhütte (2322 m) mitten in Osttirol. Meine Augenlider sind schwer. Meine sonst so flotte Zunge schlummert noch tief. Ohne große Worte zurre ich meine Bergstiefel fest und stelle meine Stöcke auf die passende Länge ein. Ich grüble ein wenig über die bevorstehenden Stunden. Obwohl es keine Happy Hour schlägt, kredenzt mir meine Gefühlswelt einen Cocktail aus Vorfreude, Müdigkeit und Unsicherheit. Viele Fragenzeichen tummeln sich in meinem Kopf. Werde ich es gut schaffen? Bin ich richtig gekleidet? Werden sich meine Erwartungen erfüllen?
Ich drücke den Griff der knarrenden Holztüre nach unten. Eine kühle Brise erweckt meine Lebensgeister. Über durchfeuchtete Wiesen marschiere ich in Richtung meines ersten Dreitausenders. Es erscheint mir unwirklich, dass der Zeitpunkt nach langem Warten schließlich gekommen ist. Ist es doch nur ein Traum, aus dem ich jederzeit erwachen könnte? Zuerst flach, dann stärker ansteigend geht es hoch zur Schoberlacke. Der Anstieg löst ein leichtes Brennen in meinen Oberschenkeln aus. „Fühlt sich an, als wäre ich in der Realität“, schmunzle ich.
Osttirols einsamste Winkel
Es ist friedlich still. Nur das Knirschen der Steine kündigt unseren Besuch an. Zunehmend steinig und anstrengend trennt das Gelände den Hobby-Berggeher vom erfahrenen Alpinisten. Felsbrocken liegen wie Bauklötze kreuz und quer. Manche so hoch wie ich selbst. Wie auf heißen Kohlen tapse ich von einem Gesteinsblock zum nächsten. Hochkonzentriert suche ich nach den besten Tritten. Die Vorboten der hochalpinen Umgebung lassen Ehrfurcht in mir hochsteigen. Das unbekannte Terrain bringt die Schmetterlinge in meinem Bauch zum Flattern. Mit jedem gewonnenen Höhenmeter wächst die Neugierde.
Schließlich erreichen wir die erste Kletterstelle. Präzise mustere ich die steile Felsstufe von oben nach unten. In meiner Vorstellung male ich mir Zug um Zug aus. Wie ein Film läuft die Kletterroute vor meinem inneren Auge ab. Mit festem Griff fasse ich den kalten Fels. Während meine Fußspitzen für Standfestigkeit sorgen, ziehe ich mich immer weiter nach oben. An der Staniskascharte (2930 m) stehe ich umringt von Felsblöcken. Ein Wegweiser zeigt in Richtung des Hochschober-Gipfels. Weg gibt es hier keinen mehr. Nur mehr den blanken Fels, der über den Westrücken zum Gipfel führt.
Gedankensturm
Die Stöcke bleiben im Rucksack. Ich klopfe mir in die Hände. Über teils brüchige, teils blockige Felsen und durch eine Rinne führt die Gratkletterei zum Gipfel empor. Obwohl ich soeben noch etwas schwere Beine verspürt habe, ist plötzlich alle Müdigkeit wie weggeblasen. Ich blühe richtig auf und genieße die Kletterpassagen in luftiger Höhe. Unter meinen Fußsohlen sind die Relikte des Schoberkees zu sehen. Mit letzter Kraft trotzen die Gletscherreste der Eisschmelze. Bis zuletzt verdecken die dichten Wolken den fabelhaften Ausblick. Ich hoffe und bange, während ich einen Felsen nach dem anderen hinter mir lasse. Eine letzte finale Steinstufe und schon zeigt sich das Kreuz zwischen den Felszacken.
Ich streife die Aufregung wie einen schweren Rucksack von meinen Schultern und marschiere nach vorne zum Gipfelpunkt. Für einen Moment scheint die Zeit still zu stehen. Die Menschen verwandeln sich in starre Figuren. Die Gespräche werden zu leeren Hülsen. Die Stimmen verhallen, als würde man die Lautstärke eines Radios immer leiser drehen. Meine Blicke hüpfen von Spitze zu Spitze. Während sich die näheren noch entblößt zeigen, so haben sich die weiter entfernten Gipfel ihren Schneemantel übergezogen. Die Sicht reicht von den Lienzer Dolomiten über den Großvenendiger und den Großglockner bis hin zur gesamten Schobergruppe mit Glödis, Roter Knopf, Böses Weibl und Petzeck. Es ist fantastisch. Dennoch werde ich nachdenklich. Ist es so, wie ich es erwartet hatte?
Eine Explosion der Emotionen. Einen Freudentaumel, der meinen Körper wie ein Strohfeuer erfasst. Vielleicht sogar die ein oder andere Träne. Meine Vorstellung entpuppt sich als Luftschloss, das mir jetzt Kopfzerbrechen bereitet. Langsam sinkt mein Kopf zu Boden. Erwartung und Realität stehen wie zwei Paar Schuhe vor mir. Ich habe wohl nicht damit gerechnet, dass mir der Aufstieg so leichtfallen würde. Und alles, was man auf einfache Weise erreicht, scheint einem selbst wohl nicht gut genug zu sein.
Am Ende bleibt die Erinnerung
„Magst du deine Jause haben?“, werde ich aus meinem Gedankenstrudel gerissen. Ich bejahe und setze mich auf einen der Steine. Die anderen Bergsteiger sind längst vom Gipfel abgestiegen. Es ist ruhig geworden. Allmählich verliert mein innerer Wirbelsturm an Stärke. Ich ärgere mich ein wenig über mich selbst und versuche, mich wieder am Riemen zu packen. Die Einsamkeit am Gipfel und die betörende Aussicht lassen mein inneres Zerwürfnis zusehends verblassen. Eine unsichtbare Hand klopft mir auf die Schulter, während meine Zweifel schlussendlich das Feld räumen. Schön ist es hier oben. Und auch wenn es nicht meine schwierigste Tour ist, so wird sie auf ewig einen besonderen Platz in meiner Erinnerung haben.
Ein leichtes Frösteln überkommt mich. Es wird Zeit, aufzubrechen. Über den Südost-Grat wollen wir den Hochschober überschreiten. Steil hinab führt der Weg über teilweise rutschiges Gelände in eine kleine Scharte. Dort, wo mir etwas mulmig zumute wird, halte ich mich lieber an den Felsen fest. Der Blick nach oben verheißt nichts Gutes und schon fallen die ersten Regentropfen vom Himmel. Zum Glück haben wir die schwierigsten Passagen bereits hinter uns. In Windeseile schlüpfe ich in meine Regenjacke. Auf flotten Sohlen marschieren wir schnurstracks in Richtung Leibnitztörl, am Gartlsee vorbei, bis wir wieder die Hochschoberhütte erreichen.
Bergliebe geht durch den Magen
Angekommen auf der Hütte steigt mir sogleich der Duft von herzhaftem Bergkäse in die Nase. Kasnocken kocht Hüttenchef Harry Lucca in Dauerschleife. Wir streifen uns die verschwitzten Stiefel von den Füßen und schlüpfen in unsere Hüttenschuhe. „Griaß eich, wie woars?“, begrüßt uns Harry, der sich hinter einem riesigen Kochtopf versteckt. Niemals würde man erwarten, dass der gebürtige Oberösterreicher ansonsten gemeinsam mit seiner Frau Events für die illustre Gesellschaft im Fürstentum Monaco veranstaltet. Am Vorabend hat er uns noch erzählt, dass er am liebsten in einem Zelt vor der Hütte schläft und dort wenige Stunden Ruhe vom Trubel genießt. Die Hochschoberhütte hat er nach einer Rückkehr von seiner Auszeit in Tibet ziemlich spontan gepachtet. Das war 2005. Seither bewirtschaftet er von Juni bis September das abgelegene Schutzhaus. „Alles bestens gelaufen!“, rufe ich ihm zu.
Von fixen Essenszeiten hält der charismatische Feinschmecker und Weltenbummler übrigens gar nichts. Typisch österreichische Spezialitäten und Hausmannskost sowie Gerichte der 5-Elemente-Küche kann man ordern, sobald der Magen knurrt. Wir fühlen uns vom ersten Moment an heimelig und stapfen in Richtung der warmen Stube, aus der bereits das Geschnatter der anderen Gäste dringt. Am Tisch neben dem großen Kachelofen sitzend, fällt mein Blick auf den Zirbenschnaps, den Harry auf der Fensterbank angesetzt hat. Die Kreidetafel verrät, dass es heute frische Eierschwammerl (Pfifferlinge) gibt. „Zehn Kilo Eierschwammerl hat mir der Bauer heute gebracht“, scherzt Harry. Da fällt die Wahl nicht schwer und wir bestellen zwei Portionen. Die passende Weinbegleitung gibt es selbstverständlich dazu. Qualitätswein aus der Südsteiermark – mitten in der Osttiroler Einöde. Die Gläser klirren und mir wird bewusst, dass ich nun wohl ein neues Ziel brauche.
Fazit zur Tour: Rückblickend betrachtet, war die Hochschober-Tour der perfekte erste Dreitausender. Nicht zu fordernd, aber dennoch abwechslungsreich ermöglicht die Überschreitung einen sanften Einstieg in hochalpine Unternehmungen. Bei guten Sommerbedingungen ist eine Begehung ohne Steigeisen und Pickel möglich. Erkundige dich jedenfalls genau nach den aktuellen Wetterverhältnissen. Vom Parkplatz wandert man rund zwei Stunden über einen einfachen Forst- bzw. Wanderweg zur Hochschoberhütte. Wenn du nicht nur den landschaftlichen, sondern auch den kulinarischen Genuss schätzt, solltest du jedenfalls bei Harry einkehren und dich selbst von seinen Kochkünsten überzeugen.
Die Zweitagestour im Überblick:
- Parkplatz Leibnitzbachbrücke (1656 m) – Hochschoberhütte (2322 m): 2 Stunden
- Hochschoberhütte – Hochschober (3242 m): 3 Stunden
- Hochschober – Leibnitztörl (2591 m): 1 Stunde
- Leibnitztörl – Hochschoberhütte: 45 Minuten
- Hochschoberhütte – Parkplatz Leibnitzbachbrücke: 1,5 Stunden
Mein Tipp: Du kannst die Tour auf den Hochschober mit der benachbarten Lienzer Hütte und einem Aufstieg auf den Glödis (3206 m) kombinieren. Der Gipfel des Hochschobers liegt vier Gehstunden von der Lienzer Hütte entfernt, vom Leibnitztörl sind es noch drei Stunden.
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