Das Herz beginnt zu pochen. Die Augen stieren neugierig aus dem Fenster. Unruhig wetze ich auf meinem Sitzplatz hin und her. Vor lauter Aufregung quassle ich ohne Punkt und Komma. Ich erkenne alles ganz genau wieder. Die vereinzelten Häuser am Straßenrand, die friedlich grasenden Kühe auf den Weiden, die ruckelnde Feldstraße und ringsum die mächtigen Dreitausender, deren scharfkantige Grate und Spitzen unbezwingbar wirken. Eine Vertrautheit, die mich tief berührt.
Berg | Petzeck 3283 m Lienz, Tirol |
Wandern | Schwierigkeit: schwerer Bergweg Dauer: 10 bis 11 Stunden Länge: 16,6 Kilometer Aufstieg/Abstieg: 1690 Höhenmeter Höhenprofil & Karte |
Hütte | Wangenitzseehütte |
Anfahrt | Parkplatz Seichenbrunn Zum Google Maps Routenplaner |
Inhaltsverzeichnis
Was bleibt, ist die Erinnerung.
Es scheint, als wäre es erst gestern gewesen. Tatsächlich ist mittlerweile ein ganzes Jahr ins Land gezogen. Ich bin zurück in der Schobergruppe. Ein Herzenswunsch, denn schon bei meinem ersten Besuch habe ich mich ein bisschen in diese Gegend verliebt. Es ist eine Rückkehr an einen Ort, der durch seine Ursprünglichkeit und natürliche Schönheit auch mich erdet und zu meiner Mitte finden lässt.
Die Schobergruppe im Nationalpark Hohe Tauern breitet sich vom Zettersfeld bei Lienz bis zu den Kammfüßen der Glocknergruppe aus. Dicht an dicht stehen hier 53 Dreitausender an der Grenze zwischen Osttirol und Kärnten. Insgesamt 12 urige Hütten bieten Einkehr- und Übernachtungsmöglichkeiten. Die höchsten Berge dieser Gebirgsgruppe sind das Petzeck, der Rote Knopf und der Große Hornkopf.
Ein schmaler Pfad schlängelt sich durch das saftig-grüne Almgelände. Hinter den grasigen Hügeln erheben sich die grauen, felsigen Gipfel der eindrucksvollen Schoberberge. Die Szenerie versprüht eine idyllische Stimmung voll Ruhe und Gelassenheit. Ein Platz, an dem die Seele ihren Frieden findet. Ein Kleinod in einer Welt voller Hektik und Stress. Ein Ausbruch aus dem viel zu schnelllebigen Alltag. Wie schön es doch ist, sich wieder selbst zu spüren und mit den Gedanken nur im Hier und Jetzt zu sein.
Unter der Beobachtung mehrerer neugieriger Augenpaare schleichen wir uns vorsichtig vorbei. Meine Schritte werden flotter. Obwohl ich keine Angst vor Kühen habe, ist mir ein bisschen mulmig zumute, als der Weg so nahe an der Herde vorbeiführt. Sobald wir wieder ausreichend Sicherheitsabstand haben, stoße ich einen Seufzer der Erleichterung aus. Nun folgen einige Serpentinen, die uns Kurve um Kurve bis zur Unteren Seescharte leiten. Von hier oben kann man den Kreuzsee und die Wangenitzseehütte in der Ferne bereits erspähen.
Der Morgen trägt Gold
Ich bin gerade dabei, mich im Bad frisch zu machen, als ich plötzlich innehalte. Ein orangerotes Licht dringt durch das winzige Fenster, das von der Kälte der Nacht noch ein wenig beschlagen ist. Es dauert einige Sekunden, bis ich realisiere: „Das ist der Sonnenaufgang!“ Hals über Kopf stürme ich hoch ins Lager, ziehe mir in Windeseile meine warmen Sachen an und schlüpfe schnurstracks in meine kalten Bergschuhe.
Draußen herrschen morgendlich kühle Temperaturen. Ich reibe mir die Oberarme. Wie es scheint, bin ich noch nicht zu spät. Die Holzschindeln der Hütte tragen bereits einen goldgelben Anstrich. Langsam steigt der glühende Feuerball zwischen den Berggipfeln auf. Die Strahlen treffen mein Gesicht und zeichnen sich auf der Wasseroberfläche des Sees ab, wo keine einzige Welle die Spiegelung durchbricht. Ein Muster von dünnen Streifen überzieht die im Schatten liegenden Felsen. Die Menschen sitzen wie in Trance am Ufer des Sees oder lehnen still am Geländer der Terrasse. Ehrfurchtsvoll, staunend und verzaubert. Jedes gesprochene Wort würde diese einzigartige Atmosphäre zerstören. Wir alle genießen und schweigen so lange, bis der Zauber vorüber ist. Der Magen knurrt. Zeit zu frühstücken.
Bergzeit ist Seelenzeit
Nach einem ausgiebigen Frühstück starten wir in Richtung Petzeck. Stahlseile leiten uns durch die Südflanke des Kruckelkopfs bis in das Kruckelkar. Diese erste Passage ist zwar sehr ausgesetzt, durch die zusätzliche Sicherung aber gut zu bewältigen. Ich blicke über meine Schulter. Die Hütte haben wir mittlerweile aus den Augen verloren. Dafür breitet sich nun das malerische Kar vor uns aus.
Ich wandere über den felsdurchsetzen Rasenrücken. Von hier an wird das Gelände steiler und führt über mehrere Absätze hoch zur Petzeckscharte. Schließlich erreichen wir ein erstes kleines Schneefeld. Mittlerweile sind wir nur mehr von Blockgelände und losem Geröll umgeben. In diesem Moment nehme ich meine Umwelt ganz bewusst wahr. Die raue Natur. Die holprigen Wege. Die riesigen Bergspitzen und Felswände, die dich in deine Schranken weisen. Neben denen du dir im Vergleich winzig klein vorkommst. Diese Landschaft ist ehrlich und unverblümt. Zeigt sich mit all ihrer Schönheit, aber auch all ihren Tücken. Um das zu verstehen, musst man erst den Weg hierher auf sich nehmen.
Leise plätschert ein kleiner Bach vor sich hin. Wir überqueren ihn und gelangen auf eine felsdurchsetzte Wiese. Gneis- und Glimmerschiefer sind mit einem satten Grasfilm überzogen. Sehnsucht, Sinnsuche, Leichtigkeit – ich kann nicht genau beschreiben, was es ist, aber es zieht mich immer wieder hierher. Vielleicht ist es das Gefühl, sich selbst zu gehören. Von nichts und niemandem begrenzt oder durch äußere Einflüsse bestimmt zu werden. Die Taktfolgen im Leben selbst zu dirigieren und den Rufen der inneren Stimme zu folgen.
Der Weg versteckt sich zusehends unter den riesigen Felsbrocken. Schließlich erreichen wir ein größeres Firnfeld. Von diesem hatte ich vorab gelesen. Zum Glück ist es viel flacher als gedacht. Mitten im Hochsommer durch Schnee zu stapfen ist für mich jedes Mal aufs Neue eine aufregende Erfahrung. Während meine Füße über den durchfeuchteten Schnee rutschen, fühle ich mich in meine Kindheit zurückversetzt. Quietschend und lachend versuche ich nicht hinzufallen. Die lustige Rutschpartie ist jedoch nur von kurzer Dauer und schon befinden wir uns am Schlusshang zum Gipfel.
Wolken fangen
Die Sonne spiegelt sich in dem eisernen Gipfelkreuz. Der Himmel erstrahlt in knalligem Blau. Zwischen all dem Geröll suche ich mir einen Rastplatz. Lasse die Eindrücke auf mich wirken. Der große Friedrichskopf, der Kruckelkopf, der Hohe Perschitzkopf, der Ochsenkopf und noch viele andere Gipfel der Schobergruppe umzingeln mich. Einer mächtiger als der andere. Mein Blick bleibt am Großvenediger hängen. Nur wenige Wochen ist es her, als ich unter seinem Gipfelkreuz stand. Unweit davon entfernt zeigt sich der Großglockner in seiner ganzen Pracht. Eine imposante Felsgestalt, ummantelt von dicken Eis- und Schneeschichten. „Wie muss es sich wohl anfühlen, ihn zu bezwingen?“, frage ich mich und hoffe, dass es nicht mehr allzu lange dauert, bis ich diese Frage für mich beantworten kann.
Sogar die Dolomiten kann man vom Petzeck aus erkennen. Ich komme aus dem Staunen nicht mehr heraus. Ein Gefühl, das wir als Erwachsener viel zu selten empfinden. Fasziniert zu sein. Nach Worten zu ringen. Und dann doch die Stille Oberhand gewinnen zu lassen. Sich ganz den Eindrücken hinzugeben und den Moment mit all seinen Facetten zu genießen. Während ich hier sitze, bin ich achtsam. Nehme die kleinesten Details mit allen Sinnen wahr und gönne mir die Zeit, mich treiben und von der Natur in ihren Bann ziehen zu lassen.
Ich horche in mich hinein und spüre meine Emotionen ganz intensiv. Die Neugier, den Stolz, die Ehrfurcht, die unbändige Freude, den Entdeckergeist und die Abenteuerlust. Was für ein Glück ich doch habe, dass mich meine Beine hier hochgetragen haben. Zu gerne würde ich diesen Augenblick anhalten und konservieren. Doch das würde gleichsam bedeuten, ihm seine Besonderheit zu rauben. Ich ziehe meine Schnürsenkel fest und lade den Rucksack auf meine Schultern. Ein letztes Mal lasse ich meinen Blick schweifen. Es war genauso schön, wie ich es mir ausgemalt hatte. Nein, sogar ein bisschen schöner. Denn das pure Glück, das spürt man erst, wenn man die Luft hier oben atmet.
Fazit zur Tour: Eine Reise in die Schobergruppe ist für mich stets eine Herzensangelegenheit. Zurück zum Ursprung. Ohne Handyempfang, dauernde Erreichbarkeit und unentwegtes Informationsbedürfnis. Weniger ständiges Grundrauschen, dafür leisere Töne. Ein Ort zum Abschalten und Genießen. Ein Platz, wo die Sinne wieder geschärft werden und die innere Unruhe plötzlich wie weggeblasen scheint. Das Petzeck ist sicherlich eines der bekanntesten Gipfelziele der Schobergruppe. Die Kombination aus hochalpiner Landschaft gepaart mit romantischen Seen hat mir besonders gut gefallen. Die Wangenitzseehütte kann übrigens auch von Kärntner Seite von Mörtschach durch das Wangenitztal bestiegen werden. Die hier vorgestellte Variante startet allerdings in Osttirol und ist etwas kürzer.
Die Zweitagestour im Überblick:
- Parkplatz Seichenbrunn (1673 m) – Wangenitzseehütte (2508 m): 3 Stunden
- Wangenitzseehütte – Petzeck (3283 m): 3 Stunden
- Petzeck – Wangenitzseehütte: 2,5 Stunden
- Wangenitzseehütte – Parkplatz Seichenbrunn: 2,5 Sunden
Wunderschöne Tour, die werde ich mir auf jeden Fall merken, vielen Dank! ☺LG aus dem Salzkammergut