Zum ersten Mal habe ich dich im tiefsten Winterkleid gesehen. Ein prächtiger weißer Mantel umspielte damals deine Schultern. Mit deinen steilen Flanken hast du sofort meine Blicke gefesselt. Meine Gedanken um dich kreisen lassen. Erhaben ragte dein Kopf aus der Gipfelmenge empor. Eine anmutige und respekteinflößende Erscheinung. Glatte Felswände, die wie eine mächtige Festung erscheinen und schließlich in scharfkantige Spitzen münden. Von da an wollte ich unbedingt auf deinen Gipfel steigen. Bis zum Herbst habe ich mir Zeit gelassen und mir einen ganz besonderen Tag für meinen Besuch ausgewählt: meinen 32. Geburtstag.
Berg | Mosermandl 2680 m Zederhaus, Salzburg |
Wandern | Schwierigkeit: schwerer Bergweg mit Kletterstellen im I. Schwierigkeitsgrad (Südseite) und Klettersteig A/B (Nordwestseite) Dauer: 6,5 Stunden Länge: 14 Kilometer Aufstieg/Abstieg: 1280 Höhenmeter Höhenprofil & Karte |
Hütte | Franz-Fischer-Hütte |
Anfahrt | Parkplatz Franz-Fischer-Hütte Die Mautstraße bis zum Parkplatz der Franz-Fischer-Hütte ist nur außerhalb der Wintersperre sowie der Ferienzeiten befahrbar. Alternativ kannst du den Tälerbus nutzen oder entlang der Mautstraße bis zur Schliereralm fahren. Zum Google Maps Routenplaner Infos zur Mautstraße im Riedingtal Alternative: Parkplatz Schliereralm über gebührenpflichtige Mautstraße Die Mautgebühr beträgt 9 Euro (Stand 2020) und inkludiert die Nutzung des Tälerbusses. Zum Google Maps Routenplaner |
Inhaltsverzeichnis
Mein Kraftort
Die Terrasse ist leer gefegt. Wo sich üblicherweise hungrige Bergsteiger laben, würde man nun eine Stecknadel fallen hören. Nur das Bellen des Hüttenhundes durchbricht die Stille. Wir erreichen die Franz-Fischer-Hütte einen Tag nach Saisonschluss. Der Herbst hat an den Wiesen und grasbewachsenen Hängen bereits seine Handschrift hinterlassen. Auch an den Blättern nagt bereits der Zahn der dritten Jahreszeit. Die Natur strahlt Ruhe und Gelassenheit aus. Als würde sie nach einer anstrengenden Sommersaison aufatmen.
Wir entscheiden uns, für den Aufstieg die Südroute zu wählen. Deshalb folgen wir dem Weg in Richtung Essersee. Der kleine, nur 1,5 Meter tiefe Bergsee ist im Sommer so warm, dass man darin baden kann. Heute, am 4. Oktober, sehe ich allerdings von einem Sprung ins kühle Nass ab. Die felsdurchsetzten Wiesen rund um den See haben ihr sattes Sommergrün bereits gegen warme Herbsttöne getauscht. In kräftigem Orange ummanteln sie den See, von dem man direkt auf die imposanten Felstürme blickt. Schöner hätte ein Impressionist dieses Kleinod nicht auf die Leinwand bringen können.
Noch nie bin ich an meinem Geburtstag eine Bergtour gegangen. Heuer hingegen war es mein Herzenswunsch, diesen besonderen Tag inmitten der Natur, meinem Kraftplatz, zu verbringen. Fernab von Stress, Verpflichtungen und Alltagssorgen. Dank fehlendem Empfang bleibt auch das Handy ausnahmsweise stumm. Ganz bewusst habe ich mich für diese innere Freiheit entschieden. Um Stille zu finden und dem Chaos zu entfliehen. Mir und meiner Seele eine Pause zu gönnen. Die Welt um mich herum anzuhalten, um einfach nur das Sein zu genießen.
Zwischen Sturm und Drang
Wir erreichen die Südflanke des Mosermandls. Von hier an wird das Gelände zunehmend steiler. Über Grasmatten gelangen wir zu einer abschüssigen Schuttflanke. Serpentine um Serpentine marschieren wir den Geröllkegel hinauf. Zwei Schritte vor. Einer zurück. Über Schuttfelder aufzusteigen hat manchmal den Charakter, als würde man eine Rolltreppe entgegen der Fahrtrichtung hochlaufen. Der Wind hat in der Zwischenzeit an Stärke zugelegt und bläst uns kräftig um die Ohren.
Die Zehenspitzen am Trittbügel, die Hände im Fels vergraben, klettere ich durch die steile Südwand. Ich wäge ab, halte inne und inspiziere die Gesteinsstruktur bis ins Detail. Zwischen Geröllbrocken und Felsplatten suche ich nach geeigneten Stellen, um meine Arme und Beine zu platzieren. Meinen Körper presse ich dabei möglichst nahe an die Wand. Das ermöglicht mir eine bessere Balance und gibt mir ein Gefühl von Sicherheit. Gerade eben bin ich noch über sanfte Hügel gewandert. Jetzt stehe ich inmitten einer Spielwiese aus kristallinen Schiefern und Marmoren, die mich zum nächsten Zug herausfordert.
Pure Konzentration. Nichts anderes zählt in diesem Augenblick. Ein Nervenkitzel im Wechselspiel zwischen Freiheit und Kontrolle. Zwischen Erfahrung und Vertrauen. Ich stehe vor dem finalen Felsvorsprung. Beherzt umfasse ich den kalten Stein und ziehe mich ein letztes Mal nach oben.
Befreiungsschlag
Kann ein Herz vor Glück platzen? Zumindest fühle ich mich so, als stünde meines kurz davor. Am Gipfel sieht man die Welt mit anderen Augen. Das Leben erscheint plötzlich so viel sorgenfreier, lebenswerter und bunter. Die Träume so viel realer, die Sehnsüchte so viel greifbarer. Der Berg gibt Antworten und stellt keine weiteren Fragen. Zeigt neue Wege auf, obwohl man schon ganz oben zu stehen scheint.
Mit einem Seufzer lehne ich mich an das zarte Metallkreuz. „Es ist perfekt“, denke ich mir, während ich auf einer Wolke tiefster Zufriedenheit schwebe. „Schau dir diese Aussicht an!“, lasse ich meinen Emotionen freien Lauf. Ich erkenne das Weißeck, den Faulkogel, die Riedingspitze und das Liebeseck. Der Berg, von dem ich zum ersten Mal mit dem Mosermandl liebäugelte. Bei gutem Wetter reicht die Fernsicht bis zum Ankogel, der Hochalmspitze, dem Großglockner, dem Hochkönig, dem Tennengebirge und dem Dachstein. Heute ist keiner dieser Weitblick-Tage, aber dafür sind wir ganz alleine hier.
Es wird eng. Und noch ein bisschen enger. Der Abstieg über die Nordwestseite führt durch einen schmalen Felskamin. Der Grat ist gespickt mit steinernen Zacken. Mal mehr, mal weniger hochragen sie in die Höhe. Wir hingegen verschwinden immer tiefer in der Steilrinne. Drahtseile und Klammern verhindern, dass wir im Schlund des Mosermandls den Halt verlieren. Schließlich wird unsere Komfortzone wieder breiter und wir treten aus der Felsrinne. Der weitere Weg führt über einen Schuttrücken, während ich den Windischkopf links liegen lasse.
Wer suchet, der findet?
Als hätte ich ein paar Schnäpse zu viel getrunken, wanke ich über die großen Steinbrocken. Mitten im gelbgrauen Schuttmeer bin ich einen kurzen Augenblick unachtsam. Und dies bleibt nicht ungestraft. Plötzlich sehe ich keine Wegmarkierung mehr. Unsicherheit folgt auf Ratlosigkeit. Und diese auf leichte Panik. „Ich habe mich doch tatsächlich verlaufen!“, ärgere ich mich. Wissend, dass mein Tourenpartner den Weg über den Windischkopf gewählt hat und ich nun allein im Nirgendwo stehe, versuche ich, Ruhe zu bewahren.
Drei tiefe Atemzüge später werden meine Gedanken wieder klarer. Eigentlich bin ich doch sicher, in welche Richtung ich gehen müsste. Der Blick auf die Karte bestätigt meine Annahme. „Alles halb so wild.“, beruhige ich mich. Trotzdem spüre ich einen dicken Kloß in meinem Hals. Als ich über die riesigen Steine stolpere und mich mühsam durch ein Schotterfeld quäle, liegen die Nerven blank. Doch als ich gerade alle Beherrschung über Bord werfen möchte, werde ich fündig. „Da ist sie wieder!“, kann ich mein Glück kaum fassen. Eine rot-weiß-rote Markierung blitzt mir von einem grauen Felsen entgegen. „Gott sei Dank!“, fällt die Anspannung mit einem Schlag von mir ab. Erleichtert folge ich nun dem offiziellen Weg und treffe auf Höhe der Windischscharte wieder auf meine Begleitung.
Sein Haupt ist zerrissen. Die Zackenkrone hängt ein wenig schief. In das spröde Kalkgestein graben sich tiefe Einschnitte. An der Windischscharte angekommen, stehe ich direkt vor dem mächtigen Faulkogel. Eine beeindruckende Berggestalt, die vom aufsteigenden Nebel umspielt wird. Doch auch der Blick hinab ins Zaunerkar lädt zum Träumen ein. Herbstliche Hänge verschmelzen mit den grauen Riesen. Die Sonne kämpft sich durch die Wolken und bietet dem Farbspiel des Herbstes eine herrliche Bühne. Der Himmel erstrahlt in sattem Blau, während die Wolken um die Spitzen der Gipfel kreisen.
Eine unerwartete Begegnung
Eigentlich wäre der Tag an diesem Punkt schon großartig gewesen. Doch zu meiner Überraschung zieht das letzte Wegstück noch ein weiteres Ass aus dem Ärmel. Mit einem Schlag bleibe ich wie angewurzelt stehen. „Guck mal! Dort drüben unter dem Stein“, flüstere ich aufgeregt. Und tatsächlich erkennen wir beide den plumpen, braunen Körper, der nahe dem riesigen Steinblock durch das Gras streift. Ein Murmeltier! Ich kann es nicht fassen. „Dort oben ist noch eines“, stelle ich begeistert fest. Wir versuchen uns auf Zehenspitzen anzuschleichen, doch die Tiere sind schlauer als wir und uns immer einen Schritt voraus. In Windeseile huschen sie in ihren Bau, sobald man ihnen zu nahekommt.
Ich könnte einen Freudenschrei ausstoßen, doch dann würde ich die charmanten Nager jedenfalls verschrecken. Lieber unterdrücke ich den Schwall an Endorphinen und genieße einfach den Moment, der für mich wie die Kirsche auf der Sahnetorte ist. Was für ein Geschenk zu meinem 32. Geburtstag! Ein Tag voller Abenteuer. Voller Glücksmomente und gespickt mit Überraschungen. Schöner hätte ich es mir nicht ausmalen können.
Fazit zur Tour: Das Mosermandl ist ein echter Klassiker im Lungau und damit ein begehrter Eintrag im persönlichen Gipfelbuch. Eindrucksvoll erhebt sich der Berg wie eine steinerne Festung über dem Naturpark Riedingtal. Wer diese Bastei stürmen möchte, sollte vertraut mit leichter Kletterei und einfachen Klettersteigpassagen sein. Belohnt wird man mit einer fulminanten Aussicht auf die Gipfel der Radstädter Tauern. Lohnenswert ist eine Einkehr in der Franz-Fischer-Hütte. Besonders ist, dass hier nur vegetarische und vegane Speisen angeboten werden. Leider waren wir einen Tag zu spät und die Saison schon beendet. Nichtsdestotrotz hätte ich mir keine schönere Tour für meinen Geburtstag wünschen können. Nicht nur bin ich ein Jahr älter, sondern auch einen Gipfel reicher geworden.