Es sieht aus, als würde der Himmel in Flammen stehen, als die Sonne langsam hinter der Bergsilhouette verschwindet. Die Stimmung ist magisch. Ich kann nicht anders, als das Fenster zu öffnen und meinen Blick über die Szenerie schweifen zu lassen. Morgen ist es endlich so weit. Ein besonderer Gipfel wartet auf mich. Einer, der schon lange auf meiner Liste steht. Kurze Zeit später hat sich bereits ein schwarzer Schleier über die Landschaft gestülpt. Nur noch das Lichtermeer im Tal erhellt die tiefschwarze Nacht. Ich schlüpfe in meinen Schlafsack und ziehe ihn bis zur Nasenspitze hoch. Der Rucksack steht schon gepackt in der Ecke des Zimmers. Und mit den letzten Gedanken an den nächsten Tag verliere auch ich den Kampf gegen die Müdigkeit.
Berg | Persailhorn, Mitterhorn und Breithorn 2347 m, 2491 m und 2504 m Saalfelden, Salzburg |
Wandern | Wildental-Klettersteig (B/C) Südwand-Klettersteig (B/C) Schwierigkeit: alpine Route mit Kletterstellen bis II. Schwierigkeitsgrad Dauer: 12 bis 13 Stunden (mit Abstieg über die Peter-Wiechenthaler-Hütte) Länge: 14,8 Kilometer Aufstieg/Abstieg: 2000 Höhenmeter Höhenprofil & Karte Alternativer Abstieg über das Riemannhaus zurück nach Bachwinkl: Dauer: 10 bis 11 Stunden Länge: 18 Kilometer Aufstieg/Abstieg: 2100 Höhenmeter Höhenprofil & Karte |
Hütte | Peter-Wiechenthaler-Hütte |
Anfahrt | Parkplatz Bachwinkl Zum Google Maps Routenplaner |
Inhaltsverzeichnis
Auf ins Abenteuer: Wildental-Klettersteig
Es ist früh am Morgen, als wir von der Peter-Wiechenthaler-Hütte in Richtung Persailhorn aufbrechen. Das Klettersteigset baumelt bereits an meinen Hüften, denn der Zustieg umfasst nur etwa 30 Minuten Fußweg durch einen steilen, latschenbewachsenen Kammrücken. Schließlich erreichen wir das Stahlseil, das den Beginn des Wildental-Klettersteiges einläutet. Er verläuft durch die schattige Nordwestflanke des Persailhorns und ist ein bisschen schwieriger bewertet als der Südwand-Klettersteig, welchen wir uns für den Abstieg vorgenommen haben.
Über einen plattigen Grat gelange ich zügig zur anspruchsvollsten Passage. Die sogenannte „Wastl-Promenade“ ist eine ausgesetzte Querung, die mit B/C bewertet ist. Unter meinen Fußspitzen schießt die Wand steil nach unten. Doch ich bleibe ruhig und überwinde die Stelle gekonnt. Der restliche Klettersteig ist ziemlich einfach, sodass ich die Kletterei in vollen Zügen genießen kann. Meine Aufmerksamkeit ist ganz auf den Moment gerichtet. Wie von einer inneren Stimme geleitet, klettere ich Meter um Meter nach oben. Vergesse die Zeit, den Alltag und jegliche Verpflichtungen. Die Bewegungen und Gedanken scheinen zu verschmelzen. Es gibt nur mich und die Felswand.
In der Vertikale
Die Wand ist gespickt mit guten Griffen und Tritten. Felskanten, Löcher und Risse bieten sich zum Festhalten an. Ich streiche mit der Handfläche sanft über den rauen Felsen. Taste mich vorsichtig voran, um einen guten Griff zu erwischen. Schließlich werde ich fündig und rüttle kurz an dem Felsvorsprung. Sicher ist sicher. Der rechte Fuß tritt ein Stückchen höher. Als ich einen festen Stand habe, stoße ich mich mit dem linken Fuß ab und platziere ihn in einer Felsmulde. Jetzt kann ich einen Karabiner nach dem anderen in den nächsten Sicherungsabschnitt einhängen. Im „Jagadiener-Wandl“ stehe ich plötzlich vor drei kurzen Eisenleitern.
Blitzartig beschleunigt mein Puls. Während ich Stufe für Stufe hinter mir lasse, ist mein Blick stur nach oben gerichtet. Das hilft mir mit meiner Höhenangst umzugehen, die sich in solchen Momenten in meiner Magengrube meldet. Zum Glück sind die Leitern halb so wild und ich komme in gutem Tempo voran. Nach einer kurzen Rinne wartet der „Ortner-Kamin“ auf mich. Während ich noch im engen Kamin stecke, hat die Sonne bereits den Gipfel erreicht. Weit ist es nicht mehr bis zum ersten Etappenziel.
Persailhorn: Maria zu Füßen
Sie ist so schön wie ich sie mir vorgestellt habe. Ehrfurchtsvoll stehe ich vor der hölzernen Madonna, die von dem Kapruner Bildhauer Anton Thuswaldner geschnitzt wurde. Ich strahle über beide Ohren und spüre, wie mich eine Welle des Glücks erfasst. Innerer Frieden stellt sich ein. Gepaart mit der Erleichterung über den geglückten Aufstieg. Alle Sinne schwelgen im Gipfelrausch. Die Augen scannen jeden Winkel des 360-Grad-Panoramas. Zufrieden lasse ich den Blick über das Steinerne Meer schweifen. Im Norden sieht man bis zum Großen Hundstod und dem Watzmann, während sich in westlicher Richtung die Loferer und Leoganger Steinberge mit dem mächtigen Birnhorn präsentieren. Dort, wo eine dicke Schneeschicht die Gipfel bedeckt, liegen die Hohen Tauern. Das Große Wiesbachhorn und der Großvenediger stechen besonders hervor.
Niemand sonst ist soeben am Gipfel. Diese Gelegenheit nutze ich, um ein paar schöne Erinnerungsfotos zu schießen und die Aussicht auf mich wirken zu lassen. Nun kommt der Moment der Entscheidung. Umdrehen oder weitergehen? Vom Gipfel des Persailhorns führt der Saalfeldener Höhenweg weiter zum Mitterhorn. Wir liegen noch gut in der Zeit und sind uns einig, dass es das für heute noch nicht gewesen sein soll.
Mitterhorn: Landung auf dem Mond
Der Weg ist ein nur an wenigen Stellen versicherter Steig, der kurz vor dem Mitterhorn-Gipfel Kletterstellen im Schwierigkeitsgrad bis I+ aufweist. Brüchiges Gestein, aufeinanderliegende Felsbrocken, gerölldurchsetzte Schrofenflanken. Irgendwo dazwischen versteckt die roten Wegmarkierungen. Meine Hände weichen nicht mehr vom Fels. Die Fußspitzen tänzeln zwischen den Gesteinstrümmern. Meine Konzentration bricht keine Sekunde ab. Ich drücke mich hoch, stütze mich ab, suche nach guten Griffen und Tritten. Es vergehen fast 1,5 Stunden, bis wir den höchsten Punkt des Mitterhorns erreichen.
Schroff, wild, einzigartig. Am Mitterhorn wird nochmals deutlich, weshalb das Steinerne Meer seinen Namen trägt. Vor mir liegt ein beeindruckendes Karstplateau, das an eine graue Mondlandschaft erinnert. Eingebettet zwischen Watzmannstock, Königssee, Hagengebirge, Hochkönig- und Hochkaltermassiv. In der Ferne erkenne ich die Schönfeldspitze sowie das naheliegende Riemannhaus. Karg und einsam, lebensfeindlich und ungezähmt. So könnte man diesen Ort beschreiben. Doch für mich ist er noch viel mehr. Diese bizarre Landschaft lässt mich eine unendlich Weite fühlen. Die Welt ist auf Abstand. Die Verbindung zu mir selbst intensiv spürbar. Der Blick in die Ferne vermittelt mir ein Gefühl von Freiheit und unendlichen Möglichkeiten. In aller Ruhe kann man hier die Wellen zählen.
Breithorn: am Hüttengipfel des Riemannhauses
Dreißig Minuten sind es vom Mitterhorn auf das Breithorn. Mittlerweile ziehen dichte Nebelschwaden ihre Kreise um den Gipfel. Wir machen uns dennoch auf den Weg und folgen dem steilen Nordostgrat abwärts. Steilversicherungen führen über die plattigen und steilen Felsen in eine Rinne hinab. Aus dieser steigen wir auf ein Schichtband unterhalb der imposanten Grattürme „Drei Docken“. Es gibt zwar immer wieder Seilversicherungen, doch diese sind äußerst dünn gesät. Kletterstellen bis zum zweiten Grad verlangen nach einem versierten Bergsteiger. Zwar fühle ich mich der Schwierigkeit stets gewachsen, doch die anspruchsvollen Passagen zehren an meinen Kräften. Ich grüble über jeden Griff und jeden Tritt. Einen Fehler darf ich mir nicht leisten. Das ist mir bewusst.
Dank meiner Erfahrung erkenne ich einen günstigen Routenverlauf in der Wand. Dennoch keimt die Nervosität in mir, als ich mich beherzt an dem Stahlseil hinablasse. Mein Herz pocht, während mein Kopf einfach funktioniert. Früher hätte mich solch eine Situation in Panik versetzt. Heute kann ich meine Ängste in Zaum halten und meinen Fokus auf den nächsten Schritt lenken. Ich halte die Luft an. Kein Wort kommt über meine Lippen. Solange, bis ich wieder festen Boden unter den Füßen habe.
Der Schnee knarrt unter meinen Schuhen. Ein Überbleibsel des ersten Wintereinbruchs. Die Aussicht vom Gipfel des Breithorns ist leider größtenteils durch die Wolken verdeckt. Dennoch bin ich stolz, es bis hierhin geschafft zu haben. Kaum zu glauben, wie weit ich heute schon gegangen bin. Besonders schön ist der Blick auf das Felsenriff der „Drei Docken“, die von hier äußerst imposant aussehen. Wir halten uns jedoch nur kurz auf dem Gipfel auf, denn vor uns liegt ein langer Abstieg zurück zum Parkplatz. Weil wir unseren Rucksack auf der Hütte zurückgelassen haben, können wir nicht spontan über das Riemannhaus absteigen. Somit bleibt uns nichts anderes übrig, als den gesamten Weg zurückzugehen.
Luftiger Abstieg: Südwand-Klettersteig
Als wir abermals den Gipfel des Persailhorns erreichen, fühlen sich meine Beine bereits ziemlich schwer an. Deshalb gönne ich mir eine längere Pause, bevor es erneut den Klettersteig hinab geht. In der Zwischenzeit hat sich die Sonne durch die Wolken gekämpft. Im Unterschied zum Aufstieg wählen wir nun den Südwand-Klettersteig. Alternativ könnte man auch dem Saalfeldener Höhenweg folgen. Wir bleiben aber entlang des Klettersteiges, der uns zunächst über einen Schrofengrat und anschließend über mehrere kurze Eisenleitern zurück zum Einstieg führt.
Zu meiner Überraschung habe ich kurz ein mulmiges Gefühl, als wir den ausgesetzten Steig nach unten gehen. Der Schritt in die Tiefe scheint wie ein Tritt ins Leere. „Warum bin ich plötzlich so unsicher?“, frage ich mich. Den ganzen Tag über habe ich jede schwierige Stelle gut gemeistert und sollte längst genug Vertrauen in mich selbst haben. Ich bemühe mich, meinen Bedenken keine große Aufmerksamkeit zu schenken. „Wenn ich sie ignoriere, werden sie schon irgendwann verschwinden“, denke ich mir. Und so ist es dann auch.
Der Südwand-Klettersteig ist mit der Schwierigkeit „B/C“ nicht allzu schwierig und abwechslungsreich angelegt. Er gefällt mir sogar besser als der Wildental-Steig. Dennoch merke ich, wie die Kräfte aus meinem Körper entweichen. Die Oberschenkel pulsieren. Meine Oberarme schmerzen nach dem stundenlangen Kletterakt. Die Augen werden immer schwerer. Ziemlich erschöpft und ausgelaugt erreichen wir letztlich die Hütte und gönnen uns zuallererst eine warme Mahlzeit. Noch zwei Gehstunden trennen uns jetzt von unserem Auto am Parkplatz. Aber alles Jammern hilft ja nichts. Zähne zusammenbeißen und durchhalten lautet die Devise. Mit einem letzten Blick auf die eindrucksvolle Steilwand des Persailhorns genieße ich das leckere Essen, bevor endgültig zum Parkplatz absteigen.
Die gesamte Tour im Überblick:
- Parkplatz Bachwinkl (800 m) – Peter-Wiechenthaler-Hütte (1752 m): 2,5 Stunden
- Peter-Wiechenthaler-Hütte – Persailhorn (2350 m): 2 bis 2,5 Stunden
- Persailhorn – Mitterhorn (2491 m): 1 bis 1,5 Stunden
- Mitterhorn – Breithorn (2504 m): 30 Minuten
Gehzeiten bei einem Abstieg über das Riemannhaus:
- Breithorn – Riemannhaus (2177 m): 1 Stunde
- Riemannhaus – Bachwinkl (800 m): 3 bis 3,5 Stunden
Fazit zur Tour: Steiles und exponiertes Gelände inmitten von gigantischen Felsbergen. Ein Teppich aus grauem Stein, der in kantige Felsflanken übergeht. Auf Tuchfühlung mit dem schroffen Gestein, während sich die Blicke in der faszinierenden Einöde verlieren. Diese Tour im Steinernen Meer ist in vielerlei Hinsicht gewaltig. Nicht nur bezüglich der Landschaft, sondern auch was Kondition und Technik betrifft. Die Route ist genau genommen ein schwieriger alpiner Steig, der häufig ungesichert ist und deshalb nur von souveränen Bergsteigern mit ausreichend Erfahrung begangen werden sollte. Für die Klettersteige am Persailhorn braucht man zudem eine komplette Klettersteigausrüstung. Als Tagestour ist diese Unternehmung nur für sehr konditionsstarke Alpinisten machbar. Übernachtungsmöglichkeiten bieten sich auf der Peter-Wiechenthaler-Hütte oder dem Riemannhaus an.