Die Wimpern tragen kleine Perlenkränze aus Eiskristallen. Mein Atem friert auf meinem Halstuch, das ich mir bis über die Nase gezogen habe. Die Kälte kriecht in die Augen und die Natur sieht aus, als hätte man sie in den Gefrierschrank gesteckt. Nur ständige Bewegung schützt vor starren Muskeln. Kein Sonnenstrahl dringt so früh am Morgen in das Marbachtal in Flachauwinkl vor. Lediglich die Tourengeher durchbrechen mit ihrem schlürfenden Gang und dem Klacken der Bindung die einträchtige Stille.
Inhaltsverzeichnis
Kaltgestellt
Der Bach plätschert friedlich, während wir über die Forststraße immer näher zum Kältepol vordringen. Trotz minus 14 Grad herrscht reger Verkehr. Vor und hinter uns marschieren zahlreiche Grüppchen, die dem derzeit eingeschränkten Corona-Alltag entfliehen wollen. Neben dem Schilchegg ist auch das Liebeseck ein beliebtes Tourenziel, welches beim selben Parkplatz startet. An der Vorderen Marbachalm angelangt, trennen sich die Wege und wir biegen in einer spitzen Kurve die Forststraße nach rechts hinauf. Auf dieser geht es gemütlich voran, bis wir uns entschließen, den Weg durch den Wald abzukürzen.
Berg | Schilchegg 2040 Meter Flachauwinkl, Salzburg |
Skitour | mittelschwere Skitour Dauer: 4 Stunden Länge: 10 Kilometer Aufstieg/Abstieg: 950 Höhenmeter Hangrichtung: NO, O Höhenprofil & Karte |
Anfahrt | Parkplatz an der Flachauwinklstraße Zum Google Maps Routenplaner |
Ohne Schweiß kein Preis
Spitzkehren sind prinzipiell nicht mein Steckenpferd. Noch weniger, wenn ich dabei scharfkantigen Steinen und rutschigen Wurzeln ausweichen muss. Wie auf rohen Eiern kämpfe ich mich mühselig den steilen Hang nach oben. Der Schnee wird immer weniger und meine Skier schrammen nur knapp am Waldboden vorbei. Obwohl ich immer wieder den Halt zu verlieren drohe, beiße ich tapfer die Zähne zusammen. Nach mehreren kniffligen Passagen schwindet jedoch mein Glaube daran, dass meine Skier die Aktion heil überstehen werden. Allmählich macht sich Verzweiflung breit. Unter Zuhilfenahme meiner Stöcke versuche ich, mich auszubalancieren und komme mir so ungelenkig vor, als würde ich auf Krücken gehen.
Schließlich reißt mir der Geduldsfaden. Ich befreie mich aus der Bindung und versuche mein Glück zu Fuß. Es ist ein zäher Kraftakt und ich spüre, wie der Schweiß meine untersten Kleidungsschichten durchdringt. Dennoch schaffe ich es, mir einzureden, dass es oben nur besser werden kann. Endlich werden die Verhältnisse wieder skitauglicher und meine Bretter landen dort, wo sie hingehören: auf dem schneebedeckten Boden.
Die Stille der Lärchen
Geschafft. Wir sind zu guter Letzt an der schönen Ranstlalm (1502m) angelangt. Immerhin haben wir nun einige Höhenmeter gesammelt. Rückblickend hätten wir doch weiter über die Forststraße gehen sollen. Doch im Nachhinein ist man immer schlauer. Der schweißtreibende Aufstieg hat mich so viel Energie gekostet, dass ich erst einmal eine kurze Rast brauche. Eine Holzbank bei der Hütte bietet sich dafür an. Die Sonne wärmt meine roten Backen und mein Puls stabilisiert sich langsam wieder.
Wie eine Pyramide sticht der Faulkogel aus dem Panorama hervor. Der Fernblick auf die Radstädter Tauern ist herrlich und motiviert mich für den restlichen Aufstieg. Umzingelt von einer Armee an Lärchenbäumen bahnen wir uns den Weg in Richtung Gipfel. Die Spur bleibt dabei etwa in der Mitte des Grabens. Die locker verteilten Lärchen wirken ohne ihr Nadelkleid entblößt und kahl, lassen uns aber wundervolle Blicke auf die Niederen Tauern erhaschen. Endlich ziehen wir unsere Spur durch weichen Pulverschnee. In Gedanken sehe ich mich schon durch die weiße Pracht wedeln.
Mit kleinen Schritten versuche ich, mir meine Energie einzuteilen und gelange so in ruhigem Tempo auf die Scharte (1874 m) zwischen Schilchegg und Benzeck. Manche Tourengeher kombinieren das Gipfelpaar zu einer gemeinsamen Tour. Wir konzentrieren uns heute allerdings auf das Schilchegg. Der Schlussanstieg führt uns am Grat entlang zur flachen Gipfelkuppe.
Schöne Überraschung
Die grandiosesten Momente sind jene, die man nicht erwartet. Bei der Ankunft am höchsten Punkt des Schilcheggs erwischt es mich eiskalt. Und das nicht, weil die Temperatur weit unter dem Gefrierpunkt liegt. Wäre ich nicht so fest in meinen Schuhen verankert, so würde ich wohl aus selbigen kippen. Ich stehe gegenüber von riesigen Felswänden, an deren steilsten Stellen der dunkle Stein hervorblitzt. Die kantigen Grate schlummern unter einer dicken Schneedecke. In den Hängen liegt feiner Pulverschnee, den schon die ein oder andere Abfahrtsspur ziert. Ein Weitblick der Superlative!
Ennskraxen und Kraxenkogel, Faulkogel, Liebeseck, Mosermandl und Permuthwand umzingeln unseren kleinen, aber feinen Aussichtspunkt. Alle Strapazen sind mit einem Schlag vergessen. Der Kopf ist mit Eindrücken gefüllt. Die Berge entfalten eine besondere Aura der Ruhe, Kraft und Geduld. Unerschütterlich trotzen sie den kalten Stürmen und gewähren den weißen Flocken Unterschlupf in ihren Rinnen und Flanken. Und während die Tourengeher kommen und gehen, bleiben die Berge stille Beobachter des Treibens.
Zum Glück sind die meisten schon wieder zur Abfahrt aufgebrochen, sodass wir unseren Gipfelsieg nur mit wenigen Anwesenden teilen. Die Sonne strahlt vom blitzblauen Himmel und erwärmt unsere Glieder. Schweren Herzens müssen wir uns irgendwann losreißen und die Rückkehr antreten. Im oberen Bereich hält die Abfahrt, was sie uns bereits beim Aufstieg versprochen hat. Ein genialer Tanz im Pulverschnee, der uns ein breites Lächeln ins Gesicht zaubert. Ausreichend Platz, um eine individuelle Linie in den Schnee zu zeichnen.
Wir gleiten über die weiche Unterlage und im Slalom zwischen den Lärchen hindurch. Ich fühle mich frei und schwerelos. Was in diesem Augenblick zählt, ist die Gegenwart. Der Wind, der um die Nase bläst. Die Wellen, auf denen die Skier reiten. Das Adrenalin, das bei jeder unerwarteten Erschütterung durch den Körper fährt. Eine Grenzerfahrung zwischen Kontrollverlust und Geschwindigkeitsrausch. Viel zu schnell geht das Stelldichein mit den Pulverhängen vorüber und wir sind zurück bei der idyllischen Almhütte.
Heimweg mit Hindernissen
An der Ranstlalm nimmt das Vergnügen ein jähes Ende. Unzählige spitze Steine lassen die weitere Abfahrt über die Forststraße zur Zitterpartie werden. Die Angst um meine Skier raubt mir jegliche Freude und rüttelt an meinen Nerven. Letztlich gehe ich auf Nummer sicher, sodass es abermals heißt: „Wer seine Skier liebt, der trägt.“ Die Stimmung lasse ich mir davon aber nicht verderben. Mit schwerfälligen Schritten stapfe ich in Richtung Tal. Es dauert einige Zeit, bis die Steine endlich weniger werden und ich wieder in die Bindung schlüpfen kann. Um ausreichend Schwung für das flache Teilstück zum Parkplatz zu haben, lasse ich die Skier laufen und gehe in die Hocke. Ein kräftiger Stockeinsatz bleibt mir kurz vor Schluss trotzdem nicht erspart. Doch auch wenn es heute nicht ganz glatt gelaufen ist, so hat sich der Ausflug in diesen kalten Winkel Salzburgs durchaus gelohnt.
Fazit zur Tour: Das Schilchegg hegt ein gewisses Schattendasein neben dem bekannten und höheren Liebeseck. Zu Unrecht, wie ich finde! Zwar gibt es auf dem eher unscheinbaren Gipfel kein Kreuz, dafür zaubert das Schilchegg eine traumhafte Rundumsicht aus der Tasche. Vor allem der Abschnitt zwischen Ranstlalm und Gipfel lockt je nach Witterung mit tierverschneiten Hängen, in denen man nur zu gerne seine Skier vergräbt. Dennoch wird die Abfahrt nie zu steil und bietet daher relativ sichere Bedingungen. Unweit des Schilcheggs liegt das Benzeck, welches sich als Erweiterungsoption anbietet. Von dort kann direkt durch die nach Südosten ausgerichtete, baumfreie und steile Flanke (Benzeckrinne) zur Ranstlalm abgefahren werden. Dies sollte man allerdings nur bei sehr sicheren Verhältnissen und entsprechendem Skikönnen wagen. Sicherer und einfacher ist die Abfahrt von der Scharte zwischen Schilchegg und Benzeck.