Es fühlt sich vertraut an. Und doch ungewohnt. Dieses Stückchen vom Kuchen des alten Lebens. Es schmeckt derart köstlich, dass man sofort mehr davon möchte. Erinnerungen an vergangene Zeiten werden wach. Als die Normalität nicht thematisiert wurde, sondern einfach da war. Ganz selbstverständlich. Ohne dass wir uns darüber Gedanken gemacht hätten. Nach Monaten im Lockdown verändert sich der Blick auf die Dinge. So sehr habe ich mich nach Abwechslung gesehnt. Nach einem Ausbruch aus dem lähmenden Trott der Pandemie. Gelockerte Bestimmungen, sinkende Corona-Zahlen und der Impffortschritt machen es möglich, dass wir aktuell wieder ein zartes Gefühl von Unbeschwertheit erleben können. Die süße Frucht der Freiheit naschen dürfen. Ich sitze auf der Terrasse des Graf-Meran-Hauses. In der Hand ein Stück Schoko-Nuss-Kuchen. Den Blick auf die Menschen um mich gerichtet. Die Gedanken auf den Moment fokussiert. Inmitten einer malerischen Berglandschaft. Glücklich und zufrieden.
Berg | Hohe Veitsch 1981 m Veitsch, Steiermark |
Wandern | Schwierigkeit: mittel Dauer: 5 Stunden Länge: 9,8 Kilometer Aufstieg/Abstieg: 800 Höhenmeter Höhenprofil & Karte |
Hütte | Graf-Meran-Haus |
Anfahrt | Parkplatz Brunnalm Zum Google Maps Routenplaner |
Inhaltsverzeichnis
Eine alte Bekannte
Es ist schon ein Weilchen her, seitdem ich das letzte Mal in den Mürzsteger Alpen unterwegs war. Hier habe ich vor einigen Jahren auch meinen Skitourenkurs absolviert und die Hohe Veitsch zum ersten Mal aus der Ferne bestaunt. Ich erinnere mich ganz genau an ihr schneebedecktes Haupt, das erhaben aus dem Bergmassiv hervorstach. Eine mächtige Herrscherin, deren gewaltiger Bergrücken keinen Zweifel an ihrer Schönheit lässt. „Dort musst du eines Tages rauf!“, dachte ich mir schon damals. Heute ist es endlich so weit. Wir starten unsere Wanderung von der Brunnalm bzw. vom Gasthof Scheikl. Zwischen den Liftanlagen des kleinen Skigebietes „Brunnalm – Hohe Veitsch“ marschieren wir zunächst steil nach oben. Die blanken Felswände der bis knapp unter die 2000-Meter-Marke reichenden Veitsch hat man stets im Blick.
Kraftplatz
Schon in den ersten Minuten merke ich, wie die Ruhe der Natur meine Stimmung hebt und mich in einen Zustand der inneren Ausgeglichenheit versetzt. Der Geruch des Waldes, die raue Felslandschaft und die guten Gespräche lassen die vergangenen Monate der Entbehrung verblassen. Wir halten uns rechter Hand und wechseln von der Piste auf einen schmalen Wanderpfad. Dieser schlängelt sich in steilen Kehren hoch zum Veitsch-Plateau. Je höher wir kommen, umso felsdurchsetzter wird das Gelände. Wir schwitzen und kichern. Machen immer wieder Halt, um einen Schluck Wasser zu trinken und die Aussicht zu genießen. An einem Ort wie diesem, fernab von Problemen und Sorgen, ist die Lebensfreude spürbar. Die Abenteuerlust lässt das Feuer in meinem Herzen lodern. Aufgeregt und mit großen Tritten bezwinge ich die letzten Felsstufen zum Plateau.
Zum Gipfel der Hohen Veitsch
Vom Graf-Meran-Haus sind es noch etwa 20 Minuten Gehzeit zum Gipfelkreuz. Schnell sind wir uns einig, dass wir zuerst auf den Gipfel und erst danach einkehren wollen. Da der Winter heuer ungewöhnlich lange angedauert hat, treffen wir Anfang Juni selbst unterhalb von 2000 Metern Höhe auf mehrere Schneefelder. Mit Schwung stoße ich meine Schuhspitzen in den durchfeuchteten Schnee, um darin Halt zu finden. Zu meiner Verwunderung treffen wir sogar auf Skitourengeher, welche die schmalen Schneereste für eine allerletzte Abfahrt nutzen. „Der Abschied fällt manchmal eben schwer“, denke ich mir und schmunzle. Wir kämpfen uns Schritt für Schritt tapfer das Schneefeld hoch. Es ist eine schweißtreibende Rutschpartie, die Gott sei Dank nicht allzu lange währt. Am Gipfel tummeln sich bereits zahlreiche Wanderer. Da heute Feiertag ist und das Wetter sonnig, ist dies nicht überraschend.
In den Bergen wohnt die Freiheit
Rax, Schneealpe und Hochschwab sind leicht zu erkennen. Außerdem kann man vom Gipfel der Veitsch den Ötscher, das Hochkar, Fadenkamp, Gippel, Göller und einen Teil des Gesäuses sowie der Niederen Tauern sehen. Es ist ein herrliches Gefühl, das mich durchflutet. Oben am Berg ist die Pandemie kilometerweit weg. Die Luft ist frisch, das Herz frei und der Kopf leer. Die Fesseln des Alltags lockern sich. Plötzlich erfährt man wieder, was es heißt, unbegrenzte Möglichkeiten zu haben. Die Menschen am Gipfel begegnen sich mit einem Lächeln. Sind erfüllt von einem schönen Tag in der Natur, der ihre Batterien wieder auflädt. Wir verweilen einige Zeit an diesem Kraftort, bis wir dem Ruf der Hütte nicht länger widerstehen können.
Auf der Terrasse des Graf-Meran-Hauses sind mittlerweile ein paar Plätze frei geworden. Zu unserem Glück lässt sich die Sonne blicken und wärmt unsere Gesichter. Auf die Uhr habe ich schon länger nicht mehr geblickt. Warum auch? Wir haben heute keinen Zeitstress und gönnen uns Suppe, Hauptspeise und sogar noch einen Nachtisch. Immerhin liegt der letzte Hüttenbesuch schon Monate zurück.
Der Rotsohler
Ich bin ein großer Freund davon, Rundwege zu gehen, weil man dadurch so viele unterschiedliche Eindrücke wie möglich sammeln kann. Darum entscheiden wir uns dazu, den sogenannten Teufelssteig für den Abstieg zu nehmen. Er führt uns entlang des Westgrates über Geröll und Fels zur Rotsohlalm. Auf dieser Alm soll einer Sage zufolge der sogenannte „Rotsohler“ leben. Dabei handelt es sich um eine Art Teufel, um den sich mehrere Legenden ranken.
Eine beschreibt ihn als wildes Wesen mit vollem Bart, langer Zunge, einem Pferdefuß und Hörnern auf dem Schädel. Während der Sommermonate wird er von den Sennerinnen versorgt und an eine Kette gebunden in Schach gehalten. Sobald diese jedoch zu Saisonende die Alm verlassen, reißt er sich los und stürmt hinunter ins Tal, um Ausschau nach unartigen Kindern zu halten, die er mit sich fortnimmt. Der Name leitet sich übrigens von „rote Sohle“, dem erzhaltigen Gestein auf der Rotsohlalm, ab. Zur Hochblüte Mitte des 19. Jahrhunderts wurden auf der Veitsch bis zu vier Tonnen Eisenerz pro Tag gefördert. Von der Rotsohlalm führt der restliche Weg gemütlich zurück zum Parkplatz. Dem Teufel sind wir zum Glück nicht begegnet.
Fazit zur Tour: Die Tour auf die Veitsch bringt dich auf einen aussichtsreichen Gipfel in der nördlichen Steiermark. Der Aufstieg von der Brunnalm ist in etwa zwei Stunden Gehzeit geschafft. Durch das weitläufige Veitsch-Plateau ergeben sich verschiedene Möglichkeiten für Rundwanderungen – entweder in der hier vorgestellten Variante mit Brunnalm und Teufelssteig oder auch über den Goassteig. Von Niederalpl kann die Hohe Veitsch über den sogenannten „Rodelgraben“ oder den Wildkamm bestiegen werden. Langweilig wird es auf dem höchsten Gipfel der Mürzsteger Alpen garantiert nicht und die Wege mit unterschiedlichem Schwierigkeitsgrad eignen sich sowohl für gemächlichere als auch sportliche Bergsteiger.