Über meinem Kopf schwebt seit einigen Tagen eine dunkle Wolke. Ich versuche vergebens aus ihrem Schatten zu treten. Unaufhörlich und ziellos strudeln Gedanken durch meinen Kopf. Ich sehne mich nach Abwechslung. Vermisse die gewohnten Strukturen und die Überraschungen des Alltags. Wo sind die Zeiten geblieben, in denen man noch Pläne schmiedete, Reisen buchte und bis in die Morgenstunden feierte? Die Liebsten einfach in die Arme nahm. Ganz selbstverständliche Dinge sind zu Kostbarkeiten geworden. Die Menschen klammern sich an wenige Aktivitäten, die ihnen ein Stückchen Normalität vorgaukeln. Rastlos sind sie auf der Suche nach einem Ort, der sie wieder zu sich selbst finden lässt. Wo sie Glück und Freude verspüren. Eine sichere Zuflucht, um den Sturm wohlbehalten zu überstehen.
Inhaltsverzeichnis
Mein Kraftplatz
Wie für viele andere ist für mich dieser Ort in der Natur, genauer gesagt am Berg. Zaghaft blinzelt die Sonne an diesem Morgen durch die Wolken. Kontinuierlich schiebt sie die graue Decke zur Seite und macht Platz für die warmen Sonnenstrahlen. Ich gleite auf meinen Skiern durch den verschneiten Märchenwald. In den vergangenen Tagen hat es so viel geschneit, dass wir uns nicht beklagen können. Von der Hallmoosalm verläuft der Weg zunächst über einen steilen Hang und anschließend entspannt entlang der Forststraße.
Berg | Kreuzeck 2205 Meter Hüttschlag, Salzburg |
Skitour | mittelschwere Skitour Dauer: 3,5 Stunden Länge: 8 Kilometer Aufstieg/Abstieg: 900 Höhenmeter Hangrichtung: NW Höhenprofil & Karte |
Anfahrt | Parkplatz Hallmoosalm Zum Google Maps Routenplaner |
Verrückte Zeit
Ein wenig Schwermut flackert in mir auf. Seit vier Monaten arbeite ich bereits im Home Office und bin somit größtenteils von den eigenen vier Wänden umgeben. Die kalte Jahreszeit und die kurzen Tage machen den Lockdown umso herausfordernder. Ich vermisse meine Familie und meine Freunde, die mehrere Autostunden entfernt sind und die ich schon lange nicht mehr besuchen konnte. Dennoch bin ich dankbar für meine wunderschöne Heimat und die Möglichkeit, jederzeit in den Bergen sein zu können. Sie sind mein Ruhepol. Mein Anker in dieser Zeit, in der die Wogen immer wieder hochgehen.


Mittlerweile haben wir die Forststraße verlassen und bahnen uns den Weg durch den Wald. Die Materialseilbahn lässt erahnen, dass wir die Karteisalm (1661 m) bald erreichen werden. In der Zwischenzeit ist die graue Wolke über mir verschwunden. Die tiefverschneite Natur zieht mich völlig in ihren Bann. Losgelöst von der eintönigen Routine und den Pflichten gebe ich mich ganz der Faszination der Winterlandschaft hin. Die spontanen Eindrücke füllen die scheinbare Leere und sorgen dafür, dass ich das Tohuwabohu in der Welt vergesse. Schon nach kurzer Zeit sind die Sinne neu geeicht. Ich rieche und höre Dinge, die ich vorher nicht wahrgenommen habe. Achtsam setze ich jeden meiner Schritte. Wir folgen der Spur weiter durch den schütteren Lärchenwald und gelangen auf ein Hochplateau am Beginn eines weitläufigen Kars.
Welt aus, Berge an!


Ganz in Weiß
„Wow, es ist so wunderschön hier“, beginne ich zu schwärmen. Unberührter Schnee, soweit das Auge reicht. Die Landschaft vermittelt den Eindruck von Freiheit und unbegrenzten Möglichkeiten. Genau das, was die meisten von uns momentan so sehr vermissen. Mich eingeschlossen. Alles konzentriert sich auf eine einzige Farbe. Keine Bäume, keine Büsche oder andere farbgebende Elemente stören die weiße Pracht. Selbst der Himmel versteckt sich hinter weiß-grauen Nebelschwaden. Der Weg durch den Kessel ist der reinste Gehgenuss. Kaum Anstieg, dafür umso feinerer Pulverschnee. „Das wird eine geniale Abfahrt“, prophezeie ich voraus. Für das letzte Stück gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder man steigt in langen Kehren direkt zum Gipfel hoch oder man schwenkt nach rechts und steuert den Grat zwischen Schattleitenkopf und Kreuzeck an. Wir entscheiden uns für die direkte Linie.



Viele Stunden Skifahren am Vortag zollen nun ihren Tribut. Meine Oberschenkel pulsieren wie wild, als wir Kehre um Kehre zum Gipfel aufsteigen. Bei jedem weiteren Schritt fühlt es sich an, als hätte jemand Gewichte an meine Beine geschnürt. In Zeitlupe schiebe ich die Skier nach oben. Ich hebe den Kopf und sehe den Gipfel, der bereits in greifbarer Nähe liegt. Das Ziehen in meinen Muskeln wird immer unangenehmer. Am liebsten würde ich dieses Feuer sofort löschen. Mich in den Schnee werfen und keinen Meter mehr weitergehen.
Weil das keine Lösung des Problems ist, versuche ich, meine Gedanken auf mein Ziel zu richten. Die Umgebung wird zu einem Hintergrundrauschen. Ich marschiere wie in Trance. Höre und sehe nur mehr den knirschenden Schnee unter meinen Skiern, die ich mit starrem Blick fixiere. Schließlich ist es soweit und der Rucksack plumpst von meinen Schultern. Fast 900 Höhenmeter und gute vier Kilometer liegen hinter uns.



Duft der Freiheit
Der Gipfel des Kreuzecks bietet wenig Platz, dafür einen umso schöneren Weitblick auf die Hohen Tauern. Eine riesige Wechte schmiegt sich sanft an den Grat, der über die Riffel zur eindrucksvollen Glingspitze führt. Mit ihrer kühlen Schneehaube bedeckt, präsentiert sich die Grande Dame ehrfürchtig und unnahbar. Bei guten Verhältnissen kann man das Kreuzeck mit diesem 2433 Meter hohen Gipfel verbinden. Dabei fährt man ein kurzes Stück Richtung Tappenkarsee ab und steigt dann in südöstlicher Richtung zur Glingspitze auf. Ein Blick auf die PeakFinder-App verrät uns die Namen der restlichen Gipfelschar: Weißgrubenkopf, Wurmkogel, Draugstein und Scheibenkogel. Bei guter Sicht sieht man sogar bis zu den vereisten Flanken von Ankogel und Keeskogel.





Jenseits des Trubels
Hier oben am Gipfel bin ich sicher. Die Pandemie, mühsame Verpflichtungen oder quälende Ängste – sie alle bleiben unten im Tal. Ich bemerke, wie ich langsam sämtliche negative Empfindungen abschüttle und stattdessen die lebendige Aura dieses Ortes aufsauge. Wenn ich auf die gigantischen Berge blicke, fühle ich mich selbst so klein. Die Probleme und der Alltagsstress verlieren angesichts der Naturgewalten plötzlich an Bedeutung. Es ist, als würde man einer höheren Macht ehrfürchtig entgegentreten, welche die Seele erdet und den Geist beflügelt. Und spätestens bei der Abfahrt, wenn Adrenalin und Endorphine durch den Körper rauschen und der Pulver um die Ohren fliegt, ist die Welt wieder ein Ort, der schöner nicht sein könnte.

Fazit zur Tour: Anfängerfreundliche Touren müssen nicht langweilig sein! Das Kreuzeck ist der beste Beweis, dass eine technisch relativ einfache Tour durchaus einige Schmankerl bereithalten kann. Das flache Hochplateau verwandelt sich im Hochwinter zu einem Traum in Weiß. Die breiten Hänge mit Nordwest-Ausrichtung ermöglichen es, in knackigen Kurzschwüngen den Pulver zum Stauben zu bringen. Nur der erste Teil bis zur Karteisalm ist bei der Abfahrt aufgrund der engen Wege etwas schwieriger. Bei sicheren Bedingungen ist die Glingspitze eine lohende, aber auch deutlich anstrengendere, Ergänzung zur Tour auf das Kreuzeck.