Ihr Doppelgipfel sieht der Mütze eines Bischofs täuschend ähnlich. Sie hält zwar keine Predigt, dennoch blicke ich andächtig und schweigsam zu ihr hoch. Wie der Pastor vorne am Altar steht die Bischofstmütze oben auf ihrem Felssockel. Die wild zerrissenen Spitzen des Gosaukammes liegen ihr zu Füßen. Und obwohl sich ihr Gesicht durch zahlreiche Felsstürze in der Vergangenheit stark verändert hat, ist sie immer noch eine Augenweide. In Gedanken versunken wandert mein Blick von einem Turm zum nächsten. Die steil aufragenden, brüchigen Felsriegel üben eine hypnotische Faszination auf mich aus. Zwischen ihnen liegen steile Rinnen. Im frischen Schnee zeichnen sich wellenförmige Linien ab. Ein schmaler Korridor, der nur wenig Spielraum für Skischwünge lässt. Beim Gedanken an eine rassige Abfahrt wie diese bekomme ich Gänsehaut.
Berg | Kampl 2050 Meter Annaberg-Lungötz, Salzburg |
Skitour | mittelschwere Skitour Dauer: 4 Stunden Länge: 10 Kilometer Aufstieg/Abstieg: 1050 Höhenmeter Hangrichtung: W, SW Höhenprofil & Karte |
Anfahrt | Parkplatz Mauerreith Die richtige Anfahrt führt über den Güterweg Bärweg-Promberg und nicht über die von Google berechnete Route. Zum Google Maps Routenplaner |
Inhaltsverzeichnis
Zeitlose Schönheit
Unser heutiges Ziel treibt mir im Gegensatz dazu keinen Angstschweiß auf die Stirn. Das Kampl ist ein felsiger Rücken mit einem kleinen Gipfelkreuz unweit der imposanten Kamplbrunnspitze und nur einen Steinwurf von der Großen und Kleinen Bischofsmütze entfernt. Die Tour beginnt am Parkplatz Mauerreith bei Annaberg und führt zunächst entlang einer Forststraße oder abgekürzt durch den tiefverschneiten Wald zur Lederingalm. Manchmal wirft ein Ast ein wenig von seiner Last ab und die Schneeflocken rieseln wie Glitzerstaub zu Boden. Mittlerweile haben wir den Mahdalmrücken erreicht. Die kleinen Holzverschläge haben sich fein herausgeputzt und tragen eine beeindruckend hohe Schneehaube. Nun müssen wir uns entscheiden: entweder nach links in Richtung Loseggalm auf der Nordseite des Mahdalmriedels oder über die Mahdalm und den Westhang des Loseggs zum Kamm hinauf.
Die Wahl fällt auf die erste Variante. Der Weg führt ziemlich flach und sogar ein kurzes Stück bergab zum weitläufigen Kar unterhalb des Kampls. Das Panorama schöpft aus den Vollen. Der Gosaukamm präsentiert sich von seiner Schokoladenseite. Schroffe Felswände reißen ihre Arme in die Höhe. Ein starker Kontrast zur sanften Winterlandschaft der Almen. Gegensätze ziehen sich hier an. Die Bischofsmütze hat ein wachsames Auge auf das hektische Skitreiben. Sie erinnert mich an eine Grand Dame: anmutig, schlicht und elegant. Voller Esprit und Lebenslust. Hinter meinem Rücken dominiert das Tennengebirge das Geschehen. Die mächtige Felswüste aus Kalkgestein ragt weit über 2.000 Meter in den Himmel.
Im Wettrennen
Jeder Blickwinkel hat seinen eigenen Charme. Eine verzaubernde Komposition der Natur, die mich in ihren Bann zieht. So wirklich flott kommen wir heute nicht voran. Viel zu oft fühle ich mich gezwungen, stehen zu bleiben. Mein Herz ist durchdrungen von der Schönheit dieses Ortes. Ein Platz wie dieser – er gibt Bedeutung für das eigene Leben. Schenkt Lebenslust und umarmt dich mit einem wohligen Gefühl der Zufriedenheit. Ein optischer Leckerbissen, der auch viele andere Tourengeher anlockt. Immer wieder werden wir überholt. Das setzt mich zugegeben ein wenig unter Druck.
In diesen Momenten vergesse ich, in mich hineinzuhorchen. Laufe wie mit Scheuklappen durch die Gegend. Als gäbe es nur besser, schneller, weiter. Anstatt meine eigenen Maßstäbe zu setzen, will ich fremde erreichen. Das Gefühl, mit anderen mithalten zu müssen, schwebt wie ein Damoklesschwert über mir. In diesem Gedankenstrudel lasse ich meine eigenen Erfolge und Leistungen links liegen. Denke nicht mehr daran, wie sehr ich mich verbessert und was ich schon erreicht habe.
Die Erkenntnis, dass immer mehr möglich ist, schmeckt wie ein saurer Apfel. Einerseits ist ein gewisser Grad an Ehrgeiz wichtig, um Fortschritte zu machen, sich weiterzuentwickeln und seine Ziele zu erreichen. Andererseits darf ein zu hoher Leistungsdruck nicht den Wind aus den Segeln nehmen. Als sich gerade wieder jemand annähert, schließe ich kurz die Augen, atme ein paar Mal tief durch und höre auf meine innere Stimme. Diesmal bleibe ich in meinem Takt und lasse mich nicht nervös machen. Sich nicht beirren lassen. An sich selbst glauben. Auf den eigenen Körper hören. Das ist das wahre Geheimnis, um ans Ziel zu gelangen.
Abwarten und Höhenmeter machen
Wir sind mittlerweile an einer verlassenen Holzhütte angelangt. Nun folgt der anstrengendste Teil des Aufstieges. Das Gelände wird zusehends steiler, sodass wir zu Spitzkehren wechseln. Die Spur zeichnet ein Zickzackmuster in den Schnee. Die Latschen sind dank einer gefrorenen Schnee- und Eisschicht zu Skulpturen erstarrt. Die Bruchstücke des Panoramas setzen sich zu einem herrlichen Landschaftsbild zusammen. Aber immer noch frage ich mich, auf welchen Felsen oder welche Scharte wir uns eigentlich zubewegen. Bisher will das Kampl nicht aus der Deckung kommen. Was für eine Geduldsprobe! Am liebsten wäre ich im Handumdrehen oben. Meine Beine sind heute schon etwas müde und schlagen Alarm. Im Wissen, dass es nicht mehr weit sein kann, mache ich nicht schlapp, sondern kämpfe mich in Minischritten auf die letzte Anhöhe.
Und plötzlich stehen wir Auge in Auge gegenüber. Ich und das Kampl. Das Geheimnis ist gelüftet und unser Ziel nur mehr eine Armlänge entfernt. Im Schatten der mächtigen Kamplbrunnspitze und dennoch erhaben thront das kleine Metallkreuz auf einem Felshöcker. Ein flacher, oft verwehter Schneegrat führt von der Kuppe zum Grat zwischen Kamplbrunnspitze und Kampl. Der Boden ist vereist, sodass die Kanten immer wieder den Halt verlieren. Doch nichts kann mich in diesem Augenblick mehr aufhalten. Am Grat angekommen, richten wir unser Skidepot ein, um die letzten Meter zu Fuß zu bewältigen.
Klein, aber fein
„Achtung, es ist verdammt eisig“, warne ich. Und tatsächlich muss ich höllisch aufpassen, um mit den schwerfälligen Tourenschuhen nicht zu Boden zu gehen. Wenig galant und mit etwas Hilfe schaffe ich es schlussendlich, hoch zum kleinen Felsgipfel zu klettern. Die Augen glänzen. Der Puls schlägt in einem schnelleren Takt. Es wird mir ganz warm ums Herz. „Was für ein Panorama das hier oben doch ist“, staune ich. Ein Felsensemble in seiner schönsten Besetzung. Eine Symphonie der Natur. Als würden die Berge ein lautes Orchester spielen. So betörend und berauschend, wie man es nur hier oben hören kann. Die Bischofsmütze blickt wohlwollend auf ihre wilde Kinderschar. Mandlkogel, Donnerkogel, Strichkogel und Angerstein sind nur einige der faszinierenden Spitzen des Gosaukammes. Doch auch der Hohe Dachstein, der Rettenstein sowie der Torstein buhlen um Aufmerksamkeit.
Langsam leert sich der Grat und bald sind wir einige der wenigen Verbliebenen. Zeit, sich für die Abfahrt zu wappnen. Ich stelle die Schuhe auf den Abfahrtsmodus ein und ziehe mir den Helm über die Ohren. Die Schuhe rasten in die Bindung ein und ich stülpe die Brille über meine Augen. Wie schon beim Aufstieg gibt es auch für die Abfahrt zwei Optionen: Entweder entlang der Aufstiegsroute zur Loseggalm oder – bei sicheren Verhältnissen – vom Skidepot über den steilen Südwesthang bis zur Sulzkaralm. Von dort muss man noch einmal die Felle hervorholen und ca. 100 Höhenmeter Gegenanstieg in Angriff nehmen. Der Weg führt auf einen Sattel und den Mahdalmriedel entlang südseitig zur Mahdalm. Von dort geht es über die Aufstiegsroute zurück nach Mauerreith.
Fazit zur Tour: Ein sagenhaftes Panorama, ungezähmte Felsspitzen, sanftes Almgelände und ein steiler Schlusshang. Die Skitour auf das Kampl bietet alles, was das Herz begehrt und erfreut sich nicht umsonst großer Beliebtheit. Sie zählt in jedem Fall zu einer der einfacheren Touren in dem von Steilhängen und Rinnen geprägten Gebirge. Man muss sich somit nicht zwangsläufig an die anspruchsvollen Touren wagen, um dem Reiz des Gosaukammes zu verfallen. Während die Kamplbrunnspitze ein imposanter Zacken in der Krone des Gosaukammes ist, ist das Kampl selbst ein eher unscheinbares Nebengipfelchen. Die fabelhafte Aussicht von seinem felsigen Haupt wird dich dennoch ins Staunen bringen und dir die Sprache verschlagen. Darüber hinaus lockt das Kampl mit unterschiedlichen Aufstiegs- und Abfahrtsvarianten, sodass garantiert keine Langeweile aufkommt. Wer von Promberg startet, kann die Tour sogar auf 1300 bis 1400 Höhenmeter ausweiten.