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Liebeseck: Herzklopfen in den Radstädter Tauern

Ich liebe es, mir Ziele zu stecken. Denn erst mit einem Ziel vor Augen offenbart sich der Weg dorthin. Ein flüchtiger Gedanke, der plötzlich zur Überzeugung wird. Eine verrückte Idee, aus der sich ein ehrgeiziger Plan formt. Es manifestiert sich ein Bild in meinem Kopf, das mich nicht mehr loslässt. Mein Herz für diese Sache entflammt. Mut und Abenteuerlust drängen Lethargie und Zweifel zurück. Zuckersüß schmeckt schließlich das Gefühl, am Ziel angelangt zu sein. Die eigenen Erwartungen erfüllt zu haben. Die Grenzpfosten niederreißen zu können, weil auf einmal noch viel mehr möglich scheint. 

Auf der Jagd nach den Höhenmetern

Zu Beginn des Winters habe ich mir vorgenommen, jedenfalls 1200 Höhenmeter auf Skiern zu schaffen. Für manche mag das wenig sein, doch für mich ist es meine erste intensive Skitouren-Saison und mein bisheriges Limit lag bei etwa 800 Höhenmetern. Es ist Ende Februar. Die Sonne strahlt seit Tagen ungewöhnlich kräftig für diese Jahreszeit vom Himmel. Vielerorts liegt so wenig Schnee, dass die Auswahl einer geeigneten Tour sehr begrenzt ist. Wir entscheiden uns schlussendlich für das Marbachtal nahe Flachauwinkl. Genauer gesagt für das Liebeseck. Rund 1200 Höhenmeter warten heute darauf, bezwungen zu werden. Ich bin nervös und habe Angst vor einer möglichen Enttäuschung. Eine Niederlage könnte ich mir nur schwer verzeihen. Fühle ich mich fit genug? Bin ich schon bereit dafür? Ich hoffe es. Während ich in die Skibindung einraste, fahren meine Gedanken eine Runde Achterbahn.

BergLiebeseck
2303 Meter
Flachauwinkl, Salzburg
Skitourmittelschwere Skitour
Dauer: 4 bis 5 Stunden
Länge: 13 Kilometer
Aufstieg/Abstieg: 1200 Höhenmeter
Hangrichtung: O, NO
Höhenprofil & Karte
AnfahrtParkplatz an der Flachauwinklstraße
Zum Google Maps Routenplaner

Eispartie

Der erste Wegabschnitt ist mir schon gut bekannt, denn er ist derselbe wie bei der Skitour auf das Schilchegg. Schier endlos führt die Forststraße in das schattige Marbachtal hinein. Wir lassen die Marbachalm und die Ennslehenhütte hinter uns, bis wir an einer Weggabelung angelangen. Üblicherweise erfolgt der Anstieg zur Ursprungalm über ein steiles Waldstück. Aufgrund der schneearmen Bedingungen weichen wir jedoch auf die Forststraße aus. Die Harscheisen bleiben uns dennoch nicht erspart. Die Zacken schlagen sich in den harten und gefrorenen Boden. Zwar rutschen die Skier nicht mehr unter meinen Füßen davon, dafür brauche ich jetzt mehr Muskelkraft. Der Glaube an mich und mein Ziel ist weiterhin ungebrochen. Mein Kampfgeist blinzelt frech und bringt mich Schritt für Schritt näher zum Gipfel.

Liebeseck_Skitour
So früh am Morgen verirrt sich nur selten ein Sonnenstrahl in das frostige Marbachtal.

Das Klackern der Eisen begleitet uns bis zur Ursprungalm. Von hier aus geht es abermals steil durch einen lichten Lärchenwald, bis wir endlich freies Gelände in Gestalt eines weitläufigen Kars erreichen. Ich bekomme eine leise Vorahnung davon, wie gewaltig die Aussicht vom Liebeseck wohl sein muss. Obwohl das hier unten erst die Vorspeise ist, bleibt mir bereits der Mund offen stehen. Gefesselt von der Schönheit der Landschaft komme ich kaum vorwärts. Es ist, als hätten mich die Berge verzaubert. Sehnsüchtig pendeln meine Blicke zwischen Faulkogel und Liebeseck hin und her. Die Vorfreude ist kaum in Zaum zu halten.

Liebeseck_Skitour_Marbachtal
Die Aufstiegsspur schlängelt sich durch einen Lärchenwald hinauf zur Ursprungalm. Wer den steilen Waldpart aussparen möchte, bleibt auf der Forststraße.

Elende Schweißtreiberei

Wir sind mitten im letzten Steilanstieg. Die Sonne brennt vom Himmel. Ich merke, wie meine Kräfte langsam schwinden und mir Skilänge um Skilänge schwerer fällt. Spitzkehren stehen am Menü. Und zwar einige davon. Ich ächze und hoffe inbrünstig, dass diese Quälerei bald ein Ende nimmt. Um mich weiter zu motivieren, halte ich mir mein Ziel vor Augen. Visualisiere den Augenblick, wenn ich oben am Gipfel stehe. Schließlich versuche ich all die positiven Gefühle, die auf mich warten, zu antizipieren und meine aufkeimende Verzweiflung damit zu ersticken. Nichtsdestotrotz spüre ich das Brennen in den Beinen, das Pochen in meinem Kopf und mein Herz, das wie wild pumpt.

Als ich es selbst nicht mehr glauben kann, sind wir endlich an der Scharte auf 2200 Metern Seehöhe angelangt. Mit einem Ruck ramme ich die Skier in den Schnee und lasse mich wie ein nasser Sack auf den Boden plumpsen. Auge in Auge mit dem mächtigen Faulkogel gönne ich mir ein großes Stück Schokoladenkuchen. Am Skidepot herrscht reges Treiben. Mensch und Hund genießen den Anblick der faszinierenden Bergwelt. Die Zeit vergeht wie im Flug und wir beschließen, zum Gipfel hochzusteigen, bevor es zu spät wird.

Liebeseck_Skitour_Scharte
Der Sattel liegt etwa 15 Gehminuten vom eigentlichen Gipfel des Liebesecks entfernt.
Liebeseck_Skitour_WegzurScharte
Die Baumgrenze liegt hinter uns und wir marschieren durch das weißgetünchte Kar.
Liebeseck_Skitour_Aufstieg
Ich richte den Blick auf das felsige Haupt des Liebesecks. Weit scheint es nicht mehr entfernt zu sein.

Wo das Herz höher schlägt

Die Skier bleiben an der Scharte, während wir zu Fuß über Fels, Schnee und Grasbüschel nach oben stapfen. Die schweren Tourenschuhe mindern mein Trittgefühl, sodass ich mir in dem anspruchsvollen Terrain zunächst ziemlich unbeholfen vorkomme. Es fällt mir schwer, den Untergrund richtig einzuschätzen und jene Stellen zu erkennen, an denen besondere Vorsicht geboten ist. Ständig denke ich daran auszurutschen, zu stolpern oder umzuknicken. Umso achtsamer und konzentrierter folge ich der ausgetretenen Schneespur zwischen den spitzen Felsen.

Schließlich werden die Schritte sicherer und ich vertraue zusehends auf meine Erfahrung im Bergsteigen. Allzu schnell komme ich dennoch nicht voran, da mich gleichzeitig die Landschaft in ihren Bann zieht. Um mich herum unzählige Berge, deren hohe Gipfel mit dem Himmel zu verschmelzen scheinen. Blendend weißer Schnee, der die schroffen Hänge und ausgesetzten Grate verhüllt. Unzählige Spitzen, die um Aufmerksamkeit buhlen und sich an Schönheit zu übertrumpfen versuchen.

Ganz alleine stehen wir am höchsten Punkt des Liebesecks. Der felsige Grat zwischen Liebeseck und Neukarscharte blitzt unter den Schneemassen hervor. Der Faulkogel zeigt sich in seiner ganzen Pracht, wobei der Gipfelbereich so steil ist, dass sich kaum Schnee in den Felswänden hält. Als ich von oben auf diese Naturgewalt blicke, bin ich eins mit der Landschaft. So als hätte ich meine Bestimmung gefunden. Als würde die Zeit für immer stehen bleiben. Pures Glück breitet sich in meinem Herzen aus. Ein Gefühl von grenzenloser Freiheit und innerem Frieden. 

Die mächtigen Felshäupter von Faulkogel und Mosermandl schaffen eine eindrucksvolle Szenerie.
Liebeseck_Skitour_Salzburg
Je nach Witterung können auf dem Weg zum Gipfel Steigeisen vonnöten sein.
Liebeseck_Skitour_2
Das traumhafte Panorama lädt zum Schwelgen ein.

Auf der Welle des Erfolgs

„Ich habe es geschafft“, schießt es mir schlagartig in den Kopf. In diesem Moment realisiere ich erst, was passiert ist. Ich stehe hier oben. Am Gipfel! Purer Stolz und Hochachtung vor mir selbst versetzen mich in einen Rauschzustand. Vor lauter Freude tänzle ich am Gipfel, möchte am liebsten die ganze Welt umarmen. Ich drehe mich im Kreis und blicke auf die unzähligen Berge in der Ferne. „Was kommt als nächstes?“, frage ich mich. Doch die Antwort darauf ist gar nicht so wichtig. Denn ich weiß, dass ich alles schaffe, wenn ich nur fest daran glaube. Die Tür zum nächsten Ziel hat sich soeben geöffnet und ich bin bereit, durch sie zu schreiten.

Liebeseck_Skitour_Gipfelblick
Vom höchsten Punkt auf 2303 Metern Seehöhe zeigt sich die imposante Felsgestalt des Kraxenkogels.
Liebeseck_Skitour_Fernblick
Die Sonne umspielt die weißbedeckten Spitzen in der Ferne.

Fazit zur Tour: Neben dem Schilchegg ist das Liebeseck eine der beliebtesten Touren im Marbachtal. Was diese Tour so besonders macht, ist ihre Vielseitigkeit: eine gemütliche Forststraßen-Passage zum Eingehen, steile Waldwege, ein großartiges Kar eingekesselt von den Felsgiganten der Radstädter Tauern und ein abschließender Spitzkehren-Anstieg mit Schweißperlen-Garantie. Die letzten Meter zum Gipfel führen über einen einfachen und doch abenteuerlichen Grat. Ich hatte den Eindruck, dass viele den Weg bis zum höchsten Punkt des Liebesecks scheuen und lieber auf der Scharte die Tour abschließen. Der Blick von ganz oben auf Faulkogel, Mosermandl, Scheibenkogel, Schöderhorn, Draugstein, Kraxenkogel und die Hohen Tauern ist allerdings atemberaubend und war jeden Extrameter wert! Die Abfahrt führt entlang des Aufstiegsweges und weiter über die Forststraße zurück zum Parkplatz.

Zum Schilchegg-Blogbeitrag

2 comments

    1. Hallo Thomas! Vielen Dank für deine Nachricht! Ich freue mich, dass dir mein Beitrag so gut gefallen hat. Das Marbachtal ist jedenfalls einen Besuch wert 🙂 Lg aus Salzburg, Simone

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