Meine Finger umklammern das Stahlseil so fest, dass die Knöchel weiß hervortreten. Das Brennen in meinen Beinen ist längst zu einem vertrauten Begleiter geworden, doch ich schenke ihm keine Beachtung. Vor mir erhebt sich eine steile Flanke, mein Herz schlägt schneller. Für einen kurzen Moment lehne ich mich gegen den kalten, rauen Fels. Schließe die Augen und versuche, meinen Atem zu beruhigen. Der Fels unter meiner Hand ist kühl und fest – beinahe beruhigend. Ich bin fast oben. Nur noch ein paar Meter trennen mich vom Gipfel des Habichts, den ich so oft in Gedanken vor mir gesehen habe. Es ist ein merkwürdiges Gefühl, zu wissen, dass dieser Traum gleich Wirklichkeit wird. Kein ferner Gedanke mehr – die Realität ist hier, in den Stubaier Alpen, auf über 3.000 Metern Höhe.
Meine Beine sind schwer, mein Körper sehnt sich nach einer Pause, doch ich weiß, dass ich es gleich geschafft habe. Diese Momente, kurz vor dem Ziel, sind die intensivsten. Ein stiller innerer Kampf – zwischen der Erschöpfung, die mich überkommt, und der Vorfreude, die sich leise in mir ausbreitet. Diese letzten Meter sind mehr als nur körperlich herausfordernd, sie fordern mentale Stärke. Genau das brauche ich, um wirklich zu spüren, wie nah ich meinem Ziel bin. Ich hole noch einmal tief Luft, öffne die Augen und fasse das Stahlseil wieder fester. Schritt für Schritt komme ich dem Gipfel näher, auch wenn meine Hände leicht zittern. Dann klettere ich über die letzten Felsen und mit einem letzten Aufschwung stehe ich endlich oben. Der Wind bläst mir ins Gesicht und in diesem Moment fühle ich Freiheit und Stolz – pure, unbändige Freude.
Berg | Habicht 3277 Meter Neustift im Stubaital, Tirol |
Wandern | Schwierigkeit: alpine Route mit leichten Kletterstellen (UIAA I.) und seilversicherten Teilstücken Dauer: 10 bis 12 Stunden (ab Karlalm 8,5 Stunden) Länge: 26 Kilometer Aufstieg/Abstieg: 2200 Höhenmeter (ab Karlalm 1550 Höhenmeter) Höhenprofil & Karte |
Hütte | Innsbrucker Hütte |
Anfahrt | Parkplatz bei Tourismusverband Stubai Tirol in Neustift Zum Google Maps Routenplaner oder Parkplatz Zegger in Neustift – Ortsteil Neder Zum Google Maps Routenplaner Informationen zum Shuttleservice ins Pinnistal |
Inhaltsverzeichnis
Hinter mir das Tal
Mit einem entschlossenen Ruck hebe ich meinen Rucksack in den Kofferraum des Autos. Um die Tour etwas abzukürzen, entscheide ich mich für den Shuttletransfer bis zur Karalm – so spare ich mir die ersten 400 Höhenmeter. Mein Ziel ist der Habicht, ein markanter Gipfel in den Stubaier Alpen in Tirol, und einer der begehrtesten Gipfel der Region. Mit seinen 3.277 Metern Höhe verspricht er eine atemberaubende Aussicht auf die umliegenden Täler und Gipfel. Er kann sowohl vom Stubai-, als auch vom Gschnitztal bestiegen werden. Für mich beginnt die Tour in Neustift im Stubaital.
Der Minibus fährt gemächlich über die Schotterpiste durch das langgezogene Pinnistal, vorbei an blühenden Almwiesen und urigen Hütten, während die Zivilisation zusehends in weite Ferne rückt. Schließlich hält der Fahrer an. Ab hier geht es nur noch zu Fuß weiter. Ein aufgeregtes Kribbeln durchfährt mich – endlich ist der Moment gekommen. Unzählige Male habe ich diese Tour in Gedanken durchlebt und nun stehe ich hier, auf der Karalm, auf 1.737 Metern, mitten in einem wildromantischen Seitental des Stubaitals. Das Abenteuer kann beginnen.
Über Serpentinen ins Abenteuer
Der Aufstieg von der Karalm zur Innsbrucker Hütte ist ein wahrer Genuss. Gleich zu Beginn überquere ich einen sprudelnden Bach, während rechts ein paar friedliche Haflinger auf der Weide grasen – Almidylle pur. Der Wanderpfad führt unterhalb der imposanten Ilmspitze und der mächtigen Kalkwand entlang und schlängelt sich hinein in die stille Alfairgrube. Mit jedem Schritt wird das Panorama beeindruckender, während ich die Serpentinen hinauf Richtung Pinnisjoch bewältige. Obwohl mein Rucksack schwer gepackt ist, finde ich einen angenehmen, gleichmäßigen Rhythmus – kein Gefühl von Eile, nur pure Vorfreude.
Der markante Habicht kommt näher und wirkt wie ein wilder Wächter, der das Tal im Blick behält. Die Luft ist klar und frisch und das Knirschen des Schotters unter meinen Schritten hat einen gleichmäßigen, beruhigenden Rhythmus. Der letzte Abschnitt gleicht einem fließenden Tanz durch die engen Kehren. Mit jeder Biegung spüre ich, wie das Joch näher rückt. Der Gedanke, dass die Hütte nicht mehr weit ist, gibt mir den letzten Energieschub.
Endlich erreiche ich das Pinnisjoch und der Blick, der sich mir bietet, ist überwältigend – die Bergwelt breitet sich majestätisch vor mir aus. Mit einem Lächeln öffne ich die schwere Holztür der Innsbrucker Hütte und sofort umhüllt mich eine angenehme Wärme, die meine durchkühlten Glieder wieder zum Leben erweckt.
Zwischen Gipfelflüstern und Knödeldampf
Der Speiseraum der Innsbrucker Hütte pulsiert vor Leben. Schon beim Eintreten umfängt mich eine angenehme Wärme. Der Duft von frisch gebackenem Kaiserschmarrn und herzhaften Tiroler Knödeln liegt in der Luft, durchzogen vom kräftigen Aroma geschmolzenen Käses. Besteck klirrt, Teller klappern und das lebhafte Murmeln der Gespräche erfüllt den urigen Raum. Die Holztische, bedeckt mit roten Tischdecken, sind dicht besetzt. Wanderer in bunten Jacken und mit roten Wangen stoßen auf den erfolgreichen Tag an, die Gläser klirren fröhlich. An einigen Tischen liegen Wanderkarten ausgebreitet – die nächste Etappe wird geplant und vergangene Abenteuer werden aufgeregt erzählt. Eine Gruppe lacht laut, während am Nachbartisch Köpfe über einem Kartenspiel zusammenstecken. Große Krüge mit Apfelschorle stehen bereit und aus dampfenden Schüsseln steigt der würzige Duft heißer Suppe empor.
Draußen legt sich langsam die Dämmerung über die Gipfel und ich suche in all dem Trubel nach einem freien Platz. In der Nähe des Fensters finde ich schließlich eine Lücke, von der aus man noch einen letzten Blick auf die Berggipfel im warmen Abendlicht hat. Der Raum strahlt eine gemütliche Vertrautheit aus und meine Tischnachbarn begrüßen mich herzlich. Schnell entwickeln sich Gespräche, Tipps für den morgigen Tag werden ausgetauscht und die Zeit vergeht wie im Flug. In wenigen Stunden wird es so weit sein: Der Habicht wartet auf mich.
Drahtseilgefühl
Es ist früh am Morgen, als ich aus der Tür der Innsbrucker Hütte trete. Das erste Licht der Sonne tastet sich sanft über die Gipfel, während die Berge noch in tiefer Stille schlummern, und die frische Feuchtigkeit des Morgentaus liegt in der Luft. Gleich hinter der Hütte beginnt der Anstieg in Richtung Habicht. Der Pfad führt zunächst in einigen Kehren durch sanftes Wiesengelände, das bald zu einer grasigen Kuppe mit einigen Felsplatten ansteigt. Ich genieße die morgendliche Ruhe und das Gefühl, wie die Natur langsam erwacht. Die anfängliche Nervosität weicht allmählich – jetzt, da ich mitten im Aufstieg bin, gibt es für mich nur noch eine Richtung: bergauf. Bald endet der grasige Abschnitt und ich stehe am Fuß der imposanten Felsflanke.
Ein kurzer, blockiger Abschnitt bringt mich zu den ersten Drahtseilsicherungen. Der Weg wird hier anspruchsvoller, das Gelände steiler und felsiger. Ein älterer Herr hält kurz an, schüttelt nachdenklich den Kopf und murmelt, dass die Strecke ihm doch zu ausgesetzt sei – seine Worte klingen fast entschuldigend, als müsste er sich rechtfertigen. Wenig später begegnet mir eine Frau um die Fünfzig, die ihren Rückzug mit einem Lächeln auf ihr Knie schiebt. Doch ihre erschöpfte Miene verrät, dass die Tour einfach herausfordernder ist, als sie erwartet hatte. „Es braucht kein schlechtes Gewissen,“ denke ich mir, „Umkehren ist oft die klügere Entscheidung.“
Ein Moment, ein Griff.
Als ich mich an die soliden Drahtseilversicherungen herantaste, schärfen sich meine Sinne auf ein Maß, das fast schon beängstigend fokussiert wirkt. Mein Blick haftet am Fels vor mir, jede Linie und jede Rille nehme ich wahr, als ob der Stein mir genau den Weg zeigen könnte, der sicher ist. Meine Hände umschließen das kühle, raue Stahlseil und ich spüre die Spannung des Drahtes, der mich stützt und leitet. Die linke Hand sucht einen stabilen Griff im Fels, idealerweise einen dieser klobigen, festen Brocken, die Halt geben. Meine Finger tasten behutsam, als wären sie von selbst auf der Suche nach dem einen, vertrauenswürdigen Punkt, während die andere Hand sich fest ans Seil klammert.
Nur kurze Zeit später leiten die Markierungen ausgesetzt, aber versichert über steile Platten nach Norden. Auch hier helfen Drahtseile über die schwierigsten Stellen hinweg. Der Gedanke daran, was hinter mir und unter mir liegt, schwindet fast vollständig. Meine Welt verengt sich auf diesen Abschnitt, auf diese eine Passage. Ein Hauch von Nervosität pocht in meinem Kopf – nicht die lähmende Art, sondern eine Art elektrisierende Wachsamkeit, die mich förmlich weiterzieht. Jeder Schritt wird zu einem kleinen Ritual: Ich prüfe, verlagere das Gewicht und bleibe einen Moment stehen, lasse die Konzentration durch meine Arme bis in die Füße fließen.
Verblasste Spuren im Schnee
Die klare Frische der Höhe hier oben zwingt mich zu tiefen, kontrollierten Atemzügen. Ein paar Meter weiter oben wage ich einen kurzen Blick zurück. Weit unter mir liegen die ersten Kehren und die weiche Wiesenlandschaft, die mich anfangs so gelassen einsteigen ließ, wirkt jetzt wie eine entfernte Erinnerung. Hier ist es anders – rauer, ehrlicher, jeder Schritt zählt, und das spüre ich. Nach dem Aufstieg über die Felsplatten folgt eine Querung. Der Steig führt weiter rechts nach oben durch steiles Blockwerk. Mit jedem Höhenmeter spüre ich das Brennen in meinen Oberschenkeln deutlicher und die Herausforderung der 950 Höhenmeter auf nur 2,2 Kilometern tritt mir klar vor Augen. Hohe Tritte sind nötig, um über die Felsen zu kommen. Das stetige Klettern lässt meine Muskeln pulsieren.
„Aufgeben ist keine Option“, sage ich mir und der Gedanke, wie gut ich mich fühlen werde, wenn ich diese Passage überwunden habe, spornt mich an, weiterzumachen. Ein Schritt nach dem anderen, ein Griff nach dem anderen – ich kämpfe mich über den gefühlt hundertsten Steinblock. Schließlich stehe ich am Rand des stark geschrumpften Habichtgletschers. Vor mir erhebt sich der markante Gipfelaufbau und ein Gefühl von Aufregung mischt sich mit Erleichterung – das Ziel ist nun zum Greifen nah. Noch ein Stück geht es auf der Felsrippe hinauf, bevor ich das Firnfeld erreiche. Ich halte kurz inne, prüfe die Verhältnisse und entscheide mich, das Firnfeld zu überqueren. Alternativ könnte ich es auch über Schutt und lose Blöcke an der rechten Seite umgehen, aber das klare Weiß zieht mich an. Jeder Schritt über den Firnschnee ist konzentriert, der Boden fest und verlässlich.
Mit Herz und Mut zum Gipfel
Sobald ich den Gipfelrücken des Habichts erreicht habe, atme ich tief ein und steige links davon weiter über das Schutt- und Blockwerk, das sich in westlicher Richtung zieht. Meine Oberschenkel brennen, doch der Gedanke daran, bald ganz oben zu stehen, gibt mir Kraft. Der Weg fordert mich noch einmal, als ich die schmale Einschartung unterhalb des Gipfels erreiche. Eine letzte Querung erwartet mich und führt mich in die steile Gipfelflanke. Mein Herz schlägt schneller und der Gedanke an den Ausblick vom höchsten Punkt treibt mich an – ich weiß, dass das Ziel nun nur noch wenige Meter entfernt liegt.
Ich nähere mich dem letzten Abschnitt und da – ein kurzer Blick nach oben und ich sehe das Gipfelkreuz zwischen den Felsen hervorblitzen. Es scheint nur mehr einen Steinwurf entfernt, ein stilles Versprechen am Ende dieses anspruchsvollen Aufstiegs. Die schmale Rinne und die großen Felsblöcke verlangen noch einmal volle Konzentration, doch der Gedanke, gleich oben zu stehen, gibt mir neuen Antrieb. Das Drahtseil sicher in der Hand, ziehe ich mich stetig höher. Das Gipfelkreuz wirkt fast wie ein Magnet, der mich unwiderstehlich anzieht. Mit einem letzten kraftvollen Zug an den Felsen und einem festen Tritt erreiche ich den höchsten Punkt. Ich halte inne, spüre das Gewicht des Aufstiegs abfallen und lasse meinen Blick in die Weite schweifen. Das Gipfelkreuz steht ruhig vor mir und die Stille der Berge umhüllt mich. Ein Gefühl von Stolz und Erleichterung mischt sich mit einem leisen Lächeln – ich bin endlich angekommen, ich kann es kaum glauben!
Der Geschmack der Höhe
Als ich endlich auf dem Gipfel des Habichts ankomme, lasse ich mich erschöpft, aber zufrieden auf einen Felsen fallen und hole mein Käsebrot hervor. Der erste Bissen schmeckt nach Anstrengung und Belohnung zugleich – viel zu lange habe ich unterwegs nichts gegessen, getrieben von dem Gedanken, einfach nur weiterzukommen. Jetzt sitze ich hier, atme tief ein und alles andere scheint unwichtig zu sein. Ich blicke zum Gipfelkreuz, das ruhig und erhaben in der Sonne steht, und plötzlich steigt eine Flut von Gefühlen in mir auf. Da ist Stolz, aber auch eine leise Ehrfurcht – jahrelang stand dieser Gipfel auf meiner Wunschliste und jetzt, nach all dem Warten, nach jeder zurückgelegten Höhe und jedem schmerzenden Schritt, ist es keine Vision mehr, sondern greifbare Wirklichkeit. Langsam sickert die Erkenntnis in mir durch: Ich habe es geschafft. Ein tiefes Gefühl von Erfüllung erfüllt mich, als würde mir erst jetzt klar, was ich tatsächlich erreicht habe.
Um mich herum breitet sich ein atemberaubendes Panorama aus – der Blick schweift über das Stubai- und Wipptal, weiter nach Innsbruck und bis ins Karwendel im Norden. Im Osten reihen sich die Zacken und Grate der Zillertaler Alpen wie auf einer Perlenkette aneinander: Olperer, Fußstein, Schrammacher. Die vertrauten „Majestäten“ der Stubaier Alpen – Zuckerhütl, Wilder Freiger und die Feuersteine – erheben sich mächtig und besonders beeindruckend erscheinen mir die stolzen Tribulaune im Süden, die über das Gschnitztal ragen. Sogar der Mischbachferner schimmert im Dunst der Ferne, eine Erinnerung an die Gletscherkraft, die hier vorherrscht.
Höher als Träume
Hier oben fühle ich mich frei und erfüllt wie selten zuvor. Ein tiefer Stolz durchflutet mich – nicht nur, weil ich den Gipfel erreicht habe, sondern weil ich auch all die Herausforderungen und Zweifel auf dem Weg dorthin überwunden habe. Das Ziel, das so lange ein Traum war, habe ich mir erkämpft, Schritt für Schritt, Höhenmeter für Höhenmeter. In diesem Moment, mit dem weiten Himmel über mir und dem Gipfelkreuz in Sicht, fühle ich mich unbesiegbar – als hätte ich nicht nur den Berg, sondern auch eine innere Grenze überwunden, eine Kraft in mir entdeckt, die stärker ist, als ich je geglaubt hätte.
Fazit zur Tour: Die Tour auf den Habicht ist eine klassische alpine Herausforderung, die Trittsicherheit und Schwindelfreiheit erfordert. Einige Passagen erreichen den 1. Schwierigkeitsgrad und weite Strecken sind mit Stahlseilen gesichert – für geübte Bergsteiger oft entbehrlich. Der flache, spaltenfreie Habichtferner wird nur kurz betreten, sodass Seil, Pickel und Steigeisen bei guten Bedingungen meist zu Hause bleiben können. Der Ausblick vom Gipfel ist spektakulär: er reicht von der Zugspitze über den Kaiser und den Dachstein bis zum Triglav und weiter über die Dolomiten bis zur Wildspitze. Eine Übernachtung auf der Innsbrucker Hütte teilt die Tour in zwei angenehme Etappen. Der Abstieg folgt schließlich der Aufstiegsroute und rundet die Bergtour perfekt ab.
Darüber hinaus gibt es auch vom Gschnitztal zwei reizvolle Aufstiege zur Innsbrucker Hütte: Der Jubiläumssteig, der hinter der Kirche in Gschnitz beginnt, führt in etwa 2,5 Stunden über Wald und steiniges Gelände zur Hütte. Alternativ bietet der klassische Weg vom Gasthof Feuerstein (gebührenpflichtiger Parkplatz) einen steilen Aufstieg über den Steig Nr. 60, fast parallel zur Materialseilbahn. Zahlreiche Serpentinen leiten durch lichte Wälder und Bergwiesen bis zum Ziel, ebenfalls in rund 2,5 Stunden.