Search

Rendezvous auf 2522 Metern: Hoher Göll über Schustersteig und Mannlgrat

Von Sehnsucht erfüllt blicke ich zu dir hinüber. Zugegeben, es ist nicht das erste Mal. Wenn ich aus meinem Fenster sehe, schwebst du über den Dächern der Stadt. Bei klarer Sicht beobachte ich früh morgens, wie sich ein feuerrotes Tuch über dein Antlitz legt. So betörend, dass ich dem Schauspiel nicht widerstehen kann. Oh, wie gerne wäre ich in jenen Momenten bei dir.

Kennengelernt habe ich dich in deinem prächtigen Winterkleid, deine Flanken bedeckt von einem weißen Pelz. Schon da hast du mich verzaubert. Du weißt es zwar nicht, aber ich denke schon viele Jahre an dich. Wie es wohl wäre, bei dir zu sein und gemeinsam die Aussicht zu genießen. Man sagt, du seiest ganz besonders schön. Ich stelle mir vor, wie sich die Lichtstrahlen in deinem Bergkristall brechen, ich meinen Kopf an dich lehne und die Zeit für ein paar Minuten stillsteht. Ganz bald werde ich dich besuchen, Hoher Göll.

BergHoher Göll
2522 m
Berchtesgaden, Bayern
WandernSchwierigkeit: schwerer Bergweg mit ungesicherten Kletterstellen im I./A Schwierigkeitsgrad und Klettersteigen: Mannlgrat-Klettersteig (C) sowie je nach Variante Schustersteig (B) oder Kamin (B/C)
Dauer: 7 bis 8 Stunden
Länge: 8,5 Kilometer
Aufstieg: 1300 Höhenmeter (inkl. Gegenanstiegen am Mannlgrat)
Abstieg: 960 Höhenmeter (bis zum Buswendeplatz)
Höhenprofil & Karte
HüttePurtschellerhaus
Kehlsteinhaus
AnfahrtDie hier vorgestellte Tour kann in zwei Varianten begangen werden.

Variante mit Kehlsteinbus und zwei Autos: Parkplatz Obersalzberg am Dokumentationszentrum (Zum Google Maps Routenplaner) sowie Parkplatz Ahornkaser über gebührenpflichtige Rossfeld-Panormastraße (Zum Google Maps Routenplaner)

Variante ohne Bus und mit einem Auto: Parkplatz Ofnerboden über gebührenpflichtige Rossfeld-Panormastraße (Zum Google Maps Routenplaner).
Dauer: 8 bis 9 Stunden
Länge: 14 Kilometer
Aufstieg/Abstieg: 1550 Höhenmeter
Höhenprofil und Karte

Mautpreise der Rossfeld-Panoramastraße

Durch den Wind

Es schlägt jenen Tag, an dem wir uns endlich kennenlernen. Wie vor jedem ersten Treffen kribbelt es ein wenig in meiner Magengegend. Mein Körper steht unter Strom. Während der Autofahrt sitze ich wie auf Nadeln. Wie wird es sein, wenn wir uns heute begegnen? Wird es sich vertraut anfühlen? Ich nehme einen weiten Weg zu dir in Kauf. Über vier Stunden Fußmarsch sind es bis zu deiner Spitze. Doch für dich wäre mir kein Anstieg zu lange.

Es ist ungewöhnlich ruhig. Vom Parkplatz Ahornkaser wandern wir gut gelaunt in Richtung Purtschellerhaus. Vor mir erhebt sich der mächtige Gebirgsstock des Hohen Gölls. Ich schwebe jetzt schon ein bisschen auf Wolke sieben. Vorfreude ist bekanntlich die schönste Freude. Und doch muss ich meine Emotionen noch ein wenig in Zaum halten. Eine Holzstufe folgt auf die nächste. Über den „Deutschen Weg“ erreichen wir nach rund 45 Minuten die Hütte. Die beiden wehenden Fahnen verraten eine Kuriosität: Das Purtschellerhaus steht tatsächlich zur Hälfte auf deutschem und zur anderen Hälfte auf österreichischem Staatsgebiet. Die Stühle auf der Terrasse sind noch leer. Im Flur werden fleißig Schuhe gebunden. Die Bergsteiger machen sich bereit für den Aufstieg. Wir machen nur kurz eine Pause und starten sogleich in Richtung Salzburger Steig, der kurz vor dem Gipfelkamm entweder in die „Schusterroute“ oder den sogenannten „Kamin“ übergeht.

Hoher_Goell_Purtschellerhaus
Friedliche Morgenstimmung am Purtschellerhaus, von dem viele Bergsteiger zum Hohen Göll aufbrechen.

Im Hier und Jetzt

Von der Hütte verläuft der Salzburger Steig zunächst über den grasbewachsenen Eckerfirst. Danach wird das Gelände steiler und ausgesetzter. Der Hohe Göll zeigt uns seine felsige Schulter. Die Stöcke verschwinden schnell im Rucksack. Die Hände brauche ich jetzt zum Festhalten. Meine Augen folgen den Markierungen, die mich durch ein Labyrinth aus Schrofen, gestuften Felspassagen und schottrigen Abschnitten leiten. Die Welt ringsum ist längst vergessen. Es zählt nur mehr der Moment, der nächste Griff, der Mikrokosmos um mich herum. Ich fühle mich angekommen, zu Hause. Spüre den Fels unter meinen Fingern. Genieße die unbändige Natur. Die Berge verleihen unsichtbare Flügel. Mit jedem Schritt Richtung Gipfel werden die Sorgen kleiner, die Freiheit größer und das Glück greifbar.

Eckerfirst_Hoher_Goell
Der sogenannte „Eckerfirst“ ist ein kammartiger Nordausläufer des Hohen Gölls.

Auf Tuchfühlung: im Salzburger Steig

Während ich mehrere Absätze mit kurzem Gehgelände überwinde, genieße ich den Blick auf das Bergland mit dem markanten Untersberg. Auch der Mannlgrat ist von hier aus gut zu erkennen. Ein Drahtseil hilft über eine Steilpassage hinweg, ehe wir ein Gedenkkreuz passieren. Es folgt ein kurzes Zwischenspiel am Grat, bevor wir noch vor einem zweiten Kreuz nach links absteigen. Abwechselnd links und rechts tripple ich über Eisenstifte, während meine Hand nicht vom Stahlseil weicht.

Wir gelangen an eine schrofige Rinne, die uns in mehreren Serpentinen den wilden Felsabstürzen des Hohen Gölls immer näher bringt. Die gigantische Ostwand wirkt wie ein Bollwerk. Respekteinflößend und magisch in einem Atemzug. Blanke glatte Felswände bäumen sich vor uns auf. Mutter Natur hat hier ein Meisterwerk vollbracht. Die Zivilisation erscheint inmitten dieser ungezähmten Felswildnis unendlich weit weg. Dafür spüre ich mich selbst umso intensiver. Mit freiem Kopf und flinken Bewegungen überwinde ich die letzten Meter zur Weggabelung.

Hoher_Goell_Berg
Sagenhafter Blick zurück zum Felsgrat: Aus der Ferne wird deutlich, wie klein wir Menschen im Vergleich zur Naturgewalt sind.

Von Schustern und Kaminen

Kamin oder Schustersteig? Beide Varianten haben ohne Zweifel ihren Reiz. Der Kamin ist ein Quäntchen schwieriger und weniger gesichert, dafür ist der Schustersteig etwas ausgesetzter und länger. Nach kurzem Überlegen fällt meine Wahl auf letzteren.

Die vorhandenen Eisenbügel und Metallstifte nehmen der Schusterroute zumindest ein bisschen den Wind aus den Segeln. Dennoch bin ich etwas nervös. Wische mir mit der Hand über das Gesicht. Sobald ich den Blick nach unten senke, werden meine Knie zittrig, die Hände feucht. Dann meldet sich die Angst zu Wort. Auch wenn sie niemand darum gebeten hat. Ich stelle mich taub. Versuche, sie zu ignorieren. Das letzte Steilstück erfordert all meine Konzentration. Die Hand navigiert durch den Fels, die Füße treten nach oben. Die Gedanken haben Pause. Und schon stehe ich auf der Göllleiten, dem breiten Gipfelrücken des Hohen Gölls.

Hoher_Goell_Gipfel
Der Hohe Göll ist ein imposanter Bergriese, dessen Besteigung eindrucksvoll, aber auch kräftezehrend ist.

Einen Katzensprung entfernt

Der weitere Weg führt nun über die geröllbedeckte Göllleiten in Richtung des Gipfels, welcher laut Tafel noch etwa eineinhalb Stunden entfernt liegt. Die Beine sind zwar schon ein bisschen schwer, aber die Anziehungskraft des Berges wirkt stärker. Wir überqueren einen breiten, schotterbedeckten Kamm, auf dem man angenehm gehen kann. Nur in einer Gratkerbe befindet sich eine knifflige Stelle, die aber zusätzlich mit einem Drahtseil gesichert ist. Ein kleines Schneefeld hält sich auch im Sommer noch wacker und mir wird plötzlich klar: „Jetzt ist es gleich so weit. Ich stehe am Hohen Göll.“

Göllleiten_Hoher_Goell
An der Göllleiten angekommen, genießen wir einen herrlichen Blick bis zum Kehlsteinhaus, dem Mannlgrat und dem Untersberg.
Grat_Kehlsteinhaus
Vorschau auf den Abstiegsweg: Am Mannlgrat schmiegt sich das Stahlseil an die Felsflanken.
Hoher_Goell_Weg_zum_Gipfel
Von der Göllleiten strebt man über meist leichte Schotterhänge gipfelwärts.
Ausblick_Hoher_Goell_Wandern
Je näher wir dem Gipfel rücken, desto großartiger wird das Panorama.
Hoher_Goell_Aussicht
Der Hohe Göll gehört zu den Höhepunkten der Berchtesgadener Alpen. Vom breiten Gratrücken eröffnet sich eine traumhafte Aussicht auf Watzmann, Hundstod und Hochkalter.

Herzflattern

Was für eine Aussicht! Es ist ein ebenso unvergleichliches wie beflügelndes Gefühl. Ich schwelge im Gipfelrausch. Obwohl ich noch nie hier war, fühle ich mich „angekommen“. Als würden wir uns schon ewig kennen. Ausgefüllt von dem Glück, hier sein zu dürfen. Es ist wie ein Feuerwerk. Nur leise und tief in mir drinnen. Aber es breitet sich im ganzen Körper aus und lässt mich für eine gewisse Zeit staunend innehalten. 

Ach Hoher Göll, du hast mich verzaubert. Erhaben blickst du ins Tal. Hagengebirge, Hochkönig, die Berchtesgadener Alpen, das Steinerne Meer, Dachstein, Untersberg, Tennengebirge und das Salzkammergut hast du stets im Visier. Wenn ich könnte, würde ich ewig an deiner Seite verweilen.

Ein inniges Gefühl dankbarer Freude macht mich glücklich. Die Zeit vergeht wie im Flug. Der Mannlgrat ruft. Noch immer beseelt von der Begegnung mit dir, schwinge ich meinen Rucksack auf die Schultern. Ein letztes Mal wende ich den Kopf in deine Richtung. Der Abschied fällt schwer. Aber ich bin sicher, wir sehen uns wieder.

Hoher_Goell_Bergtour
Der Hohe Göll ist geprägt von bizarren Felsszenerien.
Hoher_Goell_Ausblick
Großes Kino: Die Fernsicht geizt nicht mit ihren Reizen.
Hoher_Goell_Gipfelpanorama
Vom weitläufigen Gipfelrücken erwartet uns eine eindrucksvolle Szenerie aus sanften Felshängen und wilden Gipfelzacken.
Hoher_Goell_Berchtesgadener_Alpen
Der Hohe Göll und das Hohe Brett können in einer einzigartigen Gratüberschreitung miteinander kombiniert werden.

Auf Kammlinie: Mannlgrat-Klettersteig

Es ist ein Auf und Ab in Dauerschleife. Krabbelnd, stehend, gehend und kletternd. Vorbei an imposanten Felstürmen, durch enge Spalten und bizarre Felslöcher. Über Bänder, Scharten und Felsstufen hinweg – immer unter den wachsamen Augen der spitzen Zacken und Gesteinsformationen. Die Hände haften wie Magnete am Drahtseil. Klammern und Tritte zähmen die wilden Felswände. Der Mannlgrat schlängelt sich teils gesichert, teils ungesichert zwischen Felszinnen, Gesteinsblöcken und Trümmerfeldern von der Göllleiten bis zum Kehlsteinhaus. Eine genussvolle Gratkletterei, die immer wieder wunderschöne Blicke auf die umliegende Bergszenerie freigibt. Mittlerweile bin ich ein wenig müde. Das stundenlange Felsklettern zollt seinen Tribut. Und dennoch versuche ich, meine Aufmerksamkeit zu bündeln. Suche mit Argusaugen nach passenden Tritten und Griffen. Versuche im Fluss zu bleiben und möglichst kraftsparende Bewegungsabfolgen zu setzen. 

Zustieg_Mannlgrat_Hoher_Goell
Gleich ist der Einstieg des Klettersteiges erreicht.
Hoher_Goell_Mannlgrat_Klettersteig
Der Klettersteig über die Mannlköpfe auf den Hohen Göll hat großartige Ausblicke unter anderem auf den Watzmann zu bieten.
Klettersteig_Hoher_Goell
Steile, ausgesetzte Stellen mit Drahtseilsicherungen und Stiften führen nach oben.
Hoher_Goell_Felsen
Der schon 1957 erbaute Klettersteig zwischen Kehlsteinhaus und Göllleiten erschließt die einst nur Kletterern vorbehaltenen Felslandschaft des Mannlgrates.

Die Zeit drängt

Mein Blick fällt auf die Uhr. „Wir sind zu langsam“, stelle ich ernüchtert fest. Als ich die Worte ausspreche, schwingt bereits ein wenig Nervosität in meiner Stimme mit. Ich will den letzten Bus vom Kehlsteinhaus keinesfalls verpassen. Wir tummeln uns und erhöhen sofort das Gehtempo. Zum Glück liegen die schwierigsten Passagen bereits hinter uns. Doch das letzte Wegstück zieht sich wie ein Kaugummi. Eigentlich scheint das Kehlsteinhaus schon zum Greifen nahe. Eigentlich. Hechelnd und schnaufend lege ich einen Schlusssprint ein. Wie von der Tarantel gestochen laufe ich die letzten Meter über Stock und Stein. Kaum zu glauben, wie viel Kraft scheinbar noch in meinen Beinen steckt.

Schmetterlinge im Bauch

Geschafft. Ich kann es kaum glauben, dass wir noch rechtzeitig den Busparkplatz erreichen. Es bleiben sogar noch ein paar Minuten, um einen tiefen Schluck Wasser zu trinken und durchzuatmen. Wenig später blicke ich aus dem Fenster. Kurve um Kurve verlieren wir entlang der Kehlsteinstraße an Höhe. Ich denke an das schöne Gipfelkreuz mit dem glitzernden Bergkristall. Das faszinierende Felsenmeer des Hohen Gölls mit starkem Wellengang am Mannlgrat. Unzählige Ausblicke, die zum Träumen einluden. Es war ein Date, das alles hatte, was man sich von einem guten Rendezvous erwartet: Herzklopfen, schwitzige Hände und große Vorfreude auf ein Wiedersehen.

Kehlsteinhaus
Das Kehlsteinhaus wurde 1937 bis 1938 von den Nationalsozialisten als Repräsentationsgebäude errichtet und Adolf Hitler geschenkt. Heute ist es ein beliebtes Ausflugsziel und eine mahnende Erinnerung an die Abgründe der menschenverachtenden NS-Diktatur.
Kehlsteinhaus_Koenigssee
Vom Kehlsteinhaus eröffnet sich ein sagenhafter Blick auf den Königssee, der fjordartig in die umliegende Bergwelt eingebettet ist.

Die Tour im Überblick:

  • Parkplatz Ahornkaser (1520 m) – Purtschellerhaus (1692 m): 45 Minuten
  • Purtschellerhaus – Hoher Göll via Salzburger Steig (Schustersteig/Kamin) (2522 m): 3,5 Stunden
  • Hoher Göll – Mannlgrat – Kehlstein– Buswendeplatz (1710 m): 2,5 bis 3 Stunden

Fazit zur Tour: Stolz nimmt der Hohe Göll seinen Platz in der Riege der mächtigsten Gipfel der Berchtesgadener Alpen ein. Er zählt deshalb zweifelsohne zu den Höhepunkten des Berchtesgadener Landes. Es gibt verschiedenste Routen, die auf seinen Gipfel führen, wobei der Normalweg über das Purtschellerhaus und den Salzburger Steig verläuft. Wer nicht denselben Weg auf- und absteigen möchte, kann entweder den Nordwestgrat über den Mannlgrat-Klettersteig begehen oder die Göll-Überschreitung wagen. Hierbei wandert man vom Gipfel des Hohen Gölls weiter bis zum Hohen Brett und fährt schließlich mit der Jennerbahn bergabwärts. Alle Touren am Hohen Göll erfordern Erfahrung im ausgesetzten Felsgelände. Für den Mannlgrat ist zudem eine komplette Klettersteigausrüstung notwendig. Wer die Tour im Frühsommer unternimmt, muss jedenfalls auf gefährliche Altschneefelder vor allem im Bereich des Kamins bzw. Schustersteiges achten.

Write a response

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Close
Close