Strömender Regen, der einfach nicht abreißen will. Die Wanderschuhe liegen auf der Rückbank, die Stöcke im Kofferraum. Mein Blick ist versteinert. Starr und nachdenklich. „Schaut schlecht aus“, bringe ich das ganze Malheur auf den Punkt. Keiner wagt es auszusprechen, doch uns beiden ist klar: Auf den Traunstein kommen wir heute nicht mehr.
Berg | Traunstein 1691 m Gmunden, Oberösterreich |
Wandern | Schwierigkeit: schwerer Bergweg mit Kletterstellen im I. Schwierigkeitsgrad und gesicherten Passagen (Naturfreundesteig B) Dauer: 6,5 Stunden Länge: 11 Kilometer Aufstieg/Abstieg: 1300 Höhenmeter Höhenprofil & Karte |
Hütte | Naturfreundehaus Gmundner Hütte |
Anfahrt | Gebührenpflichtiger Parkplatz beim Seebahnhof (Zum Google Maps Routenplaner) und von dort weiter mit dem Wanderbus in Richtung Umkehrplatz (Informationen und Preise zur öffentlichen Anreise) |
Inhaltsverzeichnis
Koloss am Traunsee
Fünf Jahre später. Erneut passiere ich das Ortsschild von Gmunden. Viele Male habe ich diesen mächtigen Felsklotz von der Autobahn aus sehnsuchtsvoll in der Ferne bewundert. Denn die Silhouette des Traunsteins am Ostufer des Traunsees ist bereits aus über hundert Kilometern Entfernung sichtbar. Es scheint mir ein wenig surreal, doch das Wetter ist trocken und dem Aufstieg stellt sich somit kein Hindernis in den Weg. Der Wächter des Salzkammerguts, wie der Traunstein oft genannt wird, wartet auf mich und ich folge seinem Ruf bereitwillig.
Zwei Tunnel und einen kurzen Fußmarsch später erreichen wir den Einstieg zum Naturfreundesteig, welcher über den Südwestgrat nach oben führt. Klammern und straffe Drahtseile eröffneten das Felsspektakel. Der raue Fels fühlt sich vertraut an. Sofort wird mein Herzschlag schneller. Die Hormone tanzen ausgelassen. Die Seele pendelt zwischen Lebensglück und Freiheitsgefühl. Wir gewinnen an Höhe. Die Landschaft schöpft hier oben aus den Vollen. Kredenzt ein malerisches Schauspiel. Ich schwelge im Sinnesrausch. Schließlich gelangen wir nach einem Gehstück zur Sulzkogelscharte. Der markante Felsturm des Sulzkogels ragt wie ein erhobener Zeigefinger in den Himmel.
Im Tal blitzt der Traunsee. Ich gönne mir eine Atempause. Schalte den Kopf aus und spüre das Glück bis in die Zehenspitzen. Beim Blick auf den See scheint sich die Zeit zu dehnen. Etwas Mystisches liegt in der Luft. Nicht greifbar, aber mich Haut und Haaren spürbar. Während ich meine Augen über den See und die Berge schweifen lasse, trete ich aus dem Alltäglichen heraus. Spüre den Zauber dieses Ortes, der mich unwiderstehlich umschlingt und festhält. Ich spüre, wie sich die Natur mir öffnet und mit so vielem beschenkt, das anderen verwehrt bleibt.
Berg der Kontraste
Der Traunstein ist von Gegensätzen geprägt. Wie eine Pyramide ragt er aus der malerischen Seenlandschaft hervor und wirkt damit größer, als er eigentlich ist. Glück, Faszination und Freiheit stehen den zahlreichen Unfällen am Schicksalsberg Traunstein gegenüber. In manchen Passagen sanftmütig, in anderen wiederum rau, wild und unnahbar. Auf jeden Fall ein Berg, der Können und Erfahrung verlangt.
Mein Erinnerungsrucksack füllt sich mit den schönsten Sinneseindrücken. Ein Befreiungsschlag von Alltagszwängen, Gedankenstrudel und Sorgenpäckchen. Die Lungenflügel weiten sich und im Kopf wird das Rattern zusehends leiser – bis es letztlich ganz verstummt. Mutter Natur breitet ihre Hände aus und schenkt uns eine warmherzige Umarmung. Ich lasse mich in ihren Schoß fallen und fühle mich leicht und unbeschwert.
Doch nun ist Mut und gefragt. Ich stehe vor einer großen Metallleiter. In solchen Momenten wäre früher sogleich die Höhenangst in mir hochgekrochen. Soweit, dass mir die Zweifel bis zum Hals gestanden und die Luft abgeschnürt hätten. Doch anstatt zittrig an die erste Sprosse zu fassen, packe ich beherzt zu. Selbstbewusst klettere ich nach oben und verbanne sämtliche Unsicherheiten in den hintersten Winkel meiner Gefühlswelt.
Beflügelt vom Erfolg überwinde ich auch die steile Felsrampe mit anschließender luftiger Querung spielend leicht. Durch den Wald gelangen wir weiter zur sogenannten „Hohen Rast“, ein idyllischer Ruhepol zum Verweilen. Das lasse ich mir nicht zweimal sagen und genieße die wohlverdiente Pause mit Blick auf den tiefblauen Traunsee – Naturbaden vom Feinsten! Das Ensemble zwischen dem grauen Fels und dem blauen Bergsee ist einfach magisch. Die Route führt nun über Schrofen und durch Latschen den Hang hinauf, bis wir einen Grat erreichen. Plötzlich bohren sich wieder Felszacken aus dem Boden. Es dauert ein Weilchen, bis wir schlussendlich den letzten Aufschwung erreichen.
Dem Himmel so nahe
Die Wände rücken plötzlich näher. Feiner Schotter wandelt sich in grobes Geröll. Eine tiefe Schlucht gräbt sich durch das Gestein. Zu ihrer Rechten kuschelt sich das Stahlseil an den kalten Fels. Das sogenannte „Böse Eck“, eine ausgesetzte Kante, führt in eine bisher verborgene Rinne. Mein Gesicht rötet sich vor Aufregung. Der Puls pocht in den Ohren. In meinem Bauch sammelt sich die Vorfreude. Während das Stahlseil durch meine Finger gleitet, atme ich den Augenblick tief ein. Im Rhythmus der Bewegung vergesse ich völlig die Zeit. Kurz vor dem Ausstieg erreiche ich das spektakuläre Felsentor, das die herrliche Komposition aus See und Berglandschaft wie ein Bilderrahmen umfasst. Es erscheint mir wie ein Fenster in eine bezaubernde Märchenwelt. Minuten vergehen. Meine Augen leuchten. Das ist einer dieser magischen Augenblicke, die dir die Tür öffnen in ein Lebensgefühl, das dich erfüllt und inspiriert.
Das Natufreundehaus befindet sich unweit des Steiges am Traunkirchner Kogel. Auf der Terrasse kann man bei Speis und Trank noch länger die herrliche Aussicht genießen. Das Gipfelkreuz des Traunsteins liegt vom Naturfreundehaus noch etwa eine halbe Gehstunde entfernt. Nach der Einkehr wandern wir durch Latschenfelder und lichten Wald hinab in einen Sattel und durch einen Graben. Etwas später folgt ein erneuter Anstieg zur Gmundner Hütte auf dem Fahnenkogel. Von hier ist es nur mehr ein Katzensprung zum höchsten Punkt mit dem riesigen Metallkreuz.
In Gedenken
Der erste Ausblick vom Gipfel durchdringt stets Mark und Bein. Die Realität erscheint wie ein Traum, während die Zeit stehen zu bleiben scheint. In jenem Augenblick fühlt sich alles auf einmal viel leichter an. Wie ein Korsett, dessen Schnüre sich lockern und das schließlich zu Boden fällt. Verpflichtungen, Grübel, Sorgen, Unsicherheiten, Sehnsüchte und das ewige Verlangen nach mehr zerbröseln bei dem herrlichen Weitblick auf die Berge des Salzkammerguts und auf das Dachsteinmassiv. An klaren Tagen reicht der Blick bis zum Großglockner. All die erdrückenden Gefühle und Gedanken streift man wie einen zu dicken Mantel von den Schultern. Der Geist hält inne. Es wird mir warm ums Herz. Wie ein Schwamm sauge ich gierig sämtliche Eindrücke auf. Weite Teile Oberösterreichs und Salzburgs liegen mir zu Füßen. Der schweißtreibende Aufstieg war jeden Schritt wert.
Besonders markant ist das Gipfelkreuz des Traunsteins. Um dieses zu errichten, bedurfte es 1950 purer Muskelkraft. Über 800 Freiwilligen gelang es innerhalb von nur zwei Tagen, die insgesamt 4000 Einzelteile des Kreuzes auf den Traunstein zu transportieren. Gewidmet ist das gigantische, zehn Meter hohe Kreuz den gefallenen und verschollenen Soldaten beider Weltkriege.
Taktgefühl am Mairalmsteig
Wir verbringen noch eine Weile am Gipfel, bevor wir uns an den Abstieg wagen. Hierfür eignet sich am besten der Mairalmsteig, der zwar technisch einfacher ist als der Naturfreundesteig, aber dennoch nicht unterschätzt werden sollte. Um zum Mairalmsteig zu gelangen, gehen wir auf dem bekannten Weg wieder retour, bis wir links in den Steig einbiegen können. Der Mairalmsteig führt sogleich steil entlang von Drahtseilen, der sogenannten „Kette“, in Serpentinen die Südostflanke des Traunsteins hinab. Seilgesicherte Passagen wechseln sich mit schrofigem Gelände ab, welches uns zum „Bründl“, der einzigen Wasserquelle, führt. Das abschüssige Gelände erfordert weiterhin vollste Konzentration.
Es folgt ein Wegstück durch den Wald, welches uns in vielen Kehren zur Raststelle „Kaisertisch“ führt. Zu Zeiten der Monarchie nahmen an diesem Platz die feinen Jagdgesellschaften ihre Jause ein. Zugegeben bin ich schon ein wenig müde, bemühe mich aber, die Aufmerksamkeit hochzuhalten. Augen, Hände, Füße – sie alle verflechten sich harmonisch ineinander. Der Untergrund gibt den Rhythmus vor und meine Sinne spielen die dazu passende Melodie. Endlich erreichen wir die Lainau-Forststraße. Es ist liegt zwar noch ein bisschen Weg vor uns, doch ab hier bis zum Umkehrplatz ist es vielmehr ein Spaziergang.
Fazit zur Tour: Zwar ist der Traunstein gerade einmal 1691 Meter hoch, doch seine schroffen Felsflanken verlangen alpine Erfahrung und bergsteigerisches Können. Seilsicherungen, Trittstifte und Leitern helfen über die heiklen Stellen hinweg. Der Naturfreundesteig wurde grundsätzlich nicht als Klettersteig errichtet und weist daher auch ungesicherte Felspassagen auf, welche ohne Sicherung bewältigt werden müssen. Aufgrund der großen Beliebtheit des Berges triffst du zudem immer wieder auf recht „abgespecktes“, rutschiges Gestein.
Der Traunstein ist sicherlich keine „schnelle Nummer“, wird aber häufig in seinem Anspruch unterschätzt. Alle drei Wegvarianten auf den Traunstein sind alpine Steige und damit keine einfachen Wanderwege. Sie bergen trotz der Absicherungen durch Stahlseile ein Restrisiko durch Absturz, insbesondere bei feuchten Bedingungen oder Schneefällen. Aus diesem Grund hat der Traunstein bereits zahllose Bergopfer gefordert.
Die hier beschriebene Bergtour ist in jedem Fall eine anspruchsvolle Tour für ausdauernde und trittsichere Berggeher. Aufgrund der südwestlichen Ausrichtung des Naturfreundesteiges sollte ausreichend Flüssigkeit mitgeführt werden. Entgegen den hier abgebildet Fotos solltet ihr den Helm unbedingt aufsetzen, da durchaus eine Steinschlaggefahr durch Gämse, andere Bergsteiger, Frost oder Regenfälle besteht. Für Kinder und weniger Geübte empfiehlt sich eine Seilsicherung durch einen kompetenten Begleiter oder der Einsatz einer Klettersteigausrüstung.
Die schlüsselstelle ohne klettersteigset ist nicht so gut….
Hallo Robert,
da hast du Recht. Wie erwähnt ist ein Klettersteigset empfehlenswert.
Lg, Simone
Die Empfehlung zum Klettersteigset, naja ….
Für weniger geübte auf jeden Fall, für erfahrene Berggeher ist es verzichtbar.
Wir sind diese Tour vor drei Jahren (übrigens ebenfalls am 26. Oktober) gegangen und zwar mit voller Klettersteigausrüstung. Wir haben dieses 10 Minuten lang verwendet, dann den ganzen Tag nicht mehr, auch nicht in der oben erwähnten Schlüsselstelle. Auch sonst waren alle Berggeher, die wir gesehen haben, OHNE unterwegs.
Wie gesagt, bei Unsicherheit oder weniger Erfahrung unbedingt, ansonsten geht es gut ohne.
LG (und danke für die schönen Berichte), Hans