Es gibt sie noch. Die Gipfel, die dir ganz allein gehören. Die so abgelegen sind, dass nur wenige den Weg zu ihnen finden. Wo du die Freiheit mit jeder Faser deines Körpers spürst und die Stille der Natur die tiefgründigen Gedanken sprudeln lässt. Solche Glücksplätze sind aber nicht immer leicht zu erreichen. Am ausgesetzten Gipfelgrat wäre mir mein Herz fast aus der Brust gesprungen. Wenn du weißt, dass du dir keinen falschen Schritt leisten darfst, wird alles andere zur Nebensache. Die Fußspitzen in die Felsmulde gedrückt, die Hände ans Blockgestein gepresst, kreiere ich mir meine eigene kleine Welt, in die ich mich verlieren kann. Das sind die Augenblicke, in denen ich mich lebendig fühle.
Berg | Tirolerkogel 2322 m Werfen, Oberösterreich |
Wandern | Schwierigkeit: schwerer Bergweg Hochkogelsteig (A/B) Dauer: 5 Stunden Länge: 7,8 Kilometer Aufstieg/Abstieg: 850 Höhenmeter Höhenprofil & Karte |
Hütte | Dr. Oedl-Haus |
Anfahrt | Parkplatz beim Besucherzentrum der Eisriesenwelt Preise und Öffnungszeiten der Seilbahn Zum Google Maps Routenplaner |
Inhaltsverzeichnis
Go West!
Hier, im äußersten Westen des Tennengebirges, ist man noch Entdecker einer fremden, bizarren Welt. Obwohl mich nur grauer Fels umgibt, feiere ich in meinem Innersten ein kunterbuntes Fest der Freude. Ist es die Einsamkeit, die Kargheit oder die unendlich scheinende Weite, die mich immer wieder hierher lockt? Es ist wohl eine Mischung aus allen drei Faktoren, die diesen Ort zu etwas ganz Besonderem machen.
Die Wanderung startet an der Bergstation der Seilbahn der Eisriesenwelt in Werfen. Von dort dauert der Aufstieg auf den Tirolerkogel nur drei Stunden. Hierfür folgen wir zunächst dem Weg in Richtung Eishöhle. Kurz vor dem Höhleneingang biegen wir, dem Wegweiser folgend, auf einen ausgesetzten Felsenweg ab. Hierfür ernten wir den ein oder anderen verdutzten Blick der Eisriesenwelt-Besucher.
Mutterseelenallein am Hochkogelsteig
Abenteuerlich und abwechslungsreich. So präsentiert sich der Hochkogelsteig (Schwierigkeit A/B). Gezähmt durch ein Stahlseil, das Sicherheit vermittelt, wo der Puls ein bisschen höherschlägt. Solche Wege üben einen besonderen Reiz auf mich aus. Hier ist bergsteigerisches Können gefragt. Mit Argusaugen mustere ich den Boden. Jeder Tritt will mit Bedacht gewählt sein. Jede Bewegung ist präzise durchdacht. Das Risiko eines Absturzes sitzt im Nacken. Dennoch sind es gerade diese spannungsgeladenen, tollkühnen Pfade, die mich dem Berg besonders nah sein lassen.
Während des Aufstieges genieße ich den herrlichen Tiefblick auf das malerische Salzachtal und das Panorama, welches sich vom Hochkönig über den Watzmann bis hin zur Ankogelgruppe erstreckt. Rund 500 Höhenmeter später erreichen wir schließlich das Plateau des Tennengebirges und lösen unser Eintrittsticket in das graue Felsenmeer. Es fühlt sich an, als würde ich nach Hause kommen. Ein vertrautes und wohliges Gefühl durchströmt mich, als ich auf das weitläufige Karstgelände mit seinen einsamen Gipfeln blicke. Bilder von den vergangenen Touren tauchen in meinen Gedanken auf.
Tanz auf dem Fels
Der weitere Weg führt im Auf und Ab in Richtung Scharte zwischen Tirolerkogel und Windischkopf. Je weiter wir uns dem Tirolerkogel nähern, umso blockartiger wird das Gelände. Die riesigen Gesteinsblöcke erinnern an Bauklötze, die jemand wild durcheinandergewürfelt hat. An diesem Punkt verschwinden meine Stöcke im Rucksack. Meine Hände brauche ich ab nun zum Festhalten. Wir klettern ein kurzes Stück hinunter, bevor der eigentliche Gipfelanstieg zum Tirolerkogel beginnt. Der Grat zum Gipfel zählt zu den heikelsten Parts der Tour, da er sehr ausgesetzt und nicht versichert ist.
Ich schnaufe noch einmal tief durch. Mit feuchten Händen fasse ich nach den Felsbrocken. Anspannung liegt in der Luft. Kein Wort kommt über meine Lippen. Meine Zehenspitzen platziere ich sicher auf Felsvorsprüngen und in kleinen Vertiefungen, bevor ich den nächsten Zug überlege. Meter für Meter arbeite ich mich den Grat entlang. Wie bei einem Puzzle fügt sich ein Stück logisch ins nächste. Meine Erfahrung ist mein Anker. Die Kreativität mein Kompass. Fehler darf ich mir hier keinen leisten, das weiß ich genau. Den Blick nach unten vermeide ich beharrlich. Fokussiert bewege ich mich über die kleinen Grathöcker hinweg, bis ich endlich das Gipfelkreuz erreiche.
Höhenluft
Oben angekommen scheint man auf einem Wolkenkratzer zu stehen und hinab auf die urzeitliche Schönheit des Tennengebirges zu blicken. Es ist ein Ort der Ruhe. Hier kann man sich aus dem Alltag zurückziehen. Ich lausche den Sinfonien der Natur und betrachte das unendliche, wellenförmige Plateau, die hohen Felswände und die schroffen Rinnen. Das überwältigende Gefühl von Weite macht mich stolz und gleichzeitig demütig. Der Ruf der Freiheit hallt aus der Ferne. Über dem Hochkönigmassiv ziehen allerdings dunkle Wolken auf. Zu gerne hätte ich noch einen weiteren Gipfel erklommen, doch das Wetter und die Zeit machen uns Beine. Die letzte Gondel möchten wir keinesfalls verpassen. „Tja, dann muss ich eben wiederkommen“, denke ich mir. Obwohl ich weiß, dass ich dem Charme des felsigen Meeres ohnehin nicht hätte widerstehen können.
Fazit zur Tour: Obwohl ich wusste, dass die Tour auf den Tirolerkogel eher wenig bekannt ist, war ich doch überrascht, dass wir die meiste Zeit alleine unterwegs waren. Hierzu muss ich sagen, dass wir die Wanderung unter der Woche gemacht haben. Dennoch bin ich der Ansicht, dass dieser Berg im Vergleich zu Raucheck, Werfener Hochthron und den anderen populären Zielen tatsächlich noch ein Geheimtipp ist. Entweder nimmt man einen sehr langen Weg von Stegenwald auf sich (ca. 2000 Höhenmeter), oder man wählt die Variante mit Bahnunterstützung, wobei man hier den ausgesetzten Hochkogelsteig überwinden muss.
In jedem Fall ist die Wanderung technisch anspruchsvoll und sollte nicht unterschätzt werden. Am Hochkogelsteig würde ich aufgrund der Steinschlaggefahr sogar einen Helm empfehlen. Wer die endlose Felswüste genauso gerne mag wie ich, der wird diese Tour keinesfalls bereuen. Solltest du eine Mehrtagestour im Tennengebirge planen, besteht die Möglichkeit einer Übernachtung im Leopold-Happisch-Haus, einer Selbstversorgerhütte, die etwa 1,5 Stunden Gehzeit vom Tirolerkogel entfernt liegt. Zudem empfiehlt sich ein Stopp im Dr. Oedl-Schutzhaus unweit der Bergstation der Seilbahn.