Es knirscht und knarrt, als ich das kleine Holzfenster öffne und mit einem tiefen Atemzug die frische Bergluft inhaliere. Ich liebe diese morgendliche Stille. Genieße die Stimmung, wenn alles langsam erwacht. Doch halt, was ist das? Von den Baumwipfeln steigt eine dumpfe Geräuschkulisse hoch zu meinem Guckloch. Meine Blicke versuchen vergebens, die Stimmen zu orten. Kurze Zeit später treten die erste Bergsteiger aus dem grünen Dickicht hervor. „Nicht zu glauben, wie früh es hier losgeht“, zeige ich mich entrüstet. Tatsächlich hatte ich nicht mit so einem Andrang gerechnet. Hurtig packe ich mein Hab und Gut in den Rucksack. Wenn wir am Gipfel ankommen, soll es schließlich nicht zum Brechen voll sein.
Inhaltsverzeichnis
Tor ins Tennengebirge
Ich lasse meinen Rucksack wie einen nassen Sack auf den Boden plumpsen. Mit einem lauten Schnauben geselle ich mich zu ihm. Obwohl es recht früh am Vormittag ist, zeigt die Sonne bereits, was in ihr steckt. Mein klatschnasses T-Shirt haftet an meinem Rücken. Mit den Unterarmen wische ich mir die Schweißperlen von der Stirn. Der steile Anstieg durch die Latschenfelder und später über den schottrigen Pfad hat jegliche Kraftreserven aus meinen Muskeln gesogen. Mein Puls ist viel zu hoch und pocht so heftig, dass er mir die Luft abschneidet. Nach einigen Minuten Ruhepause wird der Trommelwirbel in meiner Brust zusehends leiser. Die rote Farbe weicht aus meinem Gesicht. Von der Karmulde der Tauernscharte blicke ich zwischen den Felsen hindurch auf das Tennengebirge und die Fritztaler Berge. „Ob der Rest des Weges wohl auch so kräftezehrend ist?“, frage ich mich. „Hoffentlich nicht“, spreche ich ein Stoßgebet.
Berg | Eiskogel, Tauernkogel und Schartwand 2321 Meter, 2247 Meter und 2339 Meter Wengerau, Salzburg |
Wandern | Schwierigkeit: schwer Dauer: 9,5 Stunden Länge: 14 Kilometer Aufstieg/Abstieg: 1850 Höhenmeter Höhenprofil & Karte |
Hütte | Dr. Heinrich-Hackel-Hütte |
Anfahrt | Parkplatz Wengerau Zum Google Maps Routenplaner |
Zum Greifen nahe
Um zum Eiskogel zu gelangen, umgehen wir von der Tauernscharte den Napf im Linksbogen und steigen zur Eiskogelgrube hinunter. Das gemächliche Auf und Ab lässt mich wieder zu Kräften kommen. Wir wandern durch ein abgeschottetes Niemandsland mit spärlich begrasten, bizarren Felsformationen. Schafe blöken in der Ferne. Ein Idyll wie im Bilderbuch. Schließlich erreichen wir die grasige Flanke des Eiskogels. Der erste Gipfelsieg des Tages lässt die Gedanken an meine müden Beine verblassen. Meine Tritte werden länger, die Fußsohlen gleiten über das dünne Gras.
Neugierig strecke ich den Hals in Richtung Gipfel. Ich zähle die Minuten, bis wir endlich oben sind. In meiner Magengegend kribbelt es. „Verdammt, wo steckt denn das Kreuz?“, frage ich ungeduldig. Die Minuten verstreichen und als ich gerade nicht damit rechne, stehe ich auch schon davor. Ohne Erwartungen, dafür umso sprachloser blicken wir auf das sensationelle Panorama. „Ich werd‘ verrückt“, platzt es aus mir heraus. Wer hätte gedacht, dass wir mit solch einem Ausblick belohnt werden.
Grau in Grau
Die weite Karstfläche des Tennengebirges wirkt wie ein undurchdringliches Felsengewirr aus Dachsteinkalk, der auf einem Sockel aus Dolomit aufliegt. Wohin man blickt, strecken sich blanke Wandfluchten den Wolken entgegen. Eine Felslandschaft Grau in Grau, zu der es nur wenig Zugänge gibt. Unzählige Höhlen ziehen sich durch die Gesteinswüste. Die bekannteste unter ihnen ist die Eisriesenwelt bei Werfen. Die Wasserarmut des Karstes und die Gefahr des Verirrens im Nebel machen Überschreitungen in dieser Gegend zu einer Mammutaufgabe. Die Faszination dieser Einöde ist schwer in Worte zu fassen. Man muss es einfach gesehen habe. Dachstein- und Hochkönigsmassiv blinzeln aus der Entfernung herüber. Um das Gipfelkreuz scharen sich die ankommenden Wanderer. Ich setze mich ein bisschen fernab und versuche, die Hintergrundgeräusche auszublenden. Ich schließe meine Augen, um sie kurz danach zu öffnen und abermals von der Kulisse überwältigt zu sein.
Direttissima auf die Schartwand
Mein Blick fällt auf die Uhr. Die Zeit ist im Nu verflogen. Mit der Schartwand, unserem nächstes Gipfelziel, stehen wir bereits Auge in Auge. Wir marschieren denselben Weg zurück zum Hochplateau und folgen dem gut erkennbaren Schotterpfad zum Gipfel. Der steile Anstieg zwingt mich diesmal nicht in die Knie. „Das klappt doch besser als erwartet“, klopfe ich mir gedanklich auf die Brust. Der Erfolg versetzt mich in Euphorie. Auf den letzten Metern ist in dem weglosen Gelände ein wenig Kreativität gefragt. Ich zeichne in Gedanken eine Linie, wo keine ist und nutze die Grasbüschel zwischen dem Schutt, um besseren Halt zu haben. Der rote Faden durch das Felsenmeer will sich dennoch nicht finden lassen. Wie auf heißen Kohlen tänzle ich im Zickzack von einem Tritt zum nächsten.
Unikat aus Glas
„Wurde auch Zeit“, schießt es mir durch den Kopf, als ich den letzten Aufschwung zum Gipfel bewältige. So einzigartig wie der Aufstiegsweg ist auch das Gipfelkreuz der Schartwand. „Danke für die Zeit, die wir auf der Erde verbringen dürfen“, steht auf der Stahlbox des Gipfelbuches geschrieben. Wahre Worte, die mich daran erinnern, wie besonders solche Momente wie dieser sind. Das markante Glas-Kruzifix ist eine Spende der Wagrainer Glasfirma Gasperlmair. „Ungewöhnlich modern, aber richtig cool“, stelle ich fest. Ich strahle wie ein Honigkuchenpferd, denn anders als beim Eiskogel sind wir auf diesem Gipfel ganz alleine. Von unserem Rastplatz eröffnet sich ein 360-Grad-Panorama über das steinerne Hochplateau mit seinen Felsenspitzen. Von der Schartwand führt uns der Weg schlussendlich auf bekanntem Terrain zurück zur Tauernscharte und dem Tauernkogel.
Das Steilste kommt zum Schluss
Steil, unwegsam und ausgesetzt ist der Steig auf den Tauernkogel, der letzte Gipfel im Bunde. Der Tauernkogel stellt uns vor eine echte Herausforderung. Wirkt er von Weitem sanftmütig und freundlich, entpuppt sich die Westflanke bei der Begehung als echte Herausforderung. Zahlreiche Höhenmeter in den Beinen machen den Aufstieg nicht angenehmer. Ich kämpfe mit meinem inneren Schweinehund. Das Brennen in den Oberschenkeln kann ich nicht mehr leugnen. Die Erschöpfung macht sich in jeder Faser meines Körpers bemerkbar. Die letzten Meter erscheinen mir schier unendlich. Als würde ich mich in Zeitlupe fortbewegen. Meine Antriebskraft ist verschwunden. Am liebsten würde ich mich einfach auf den Boden hocken und keinen Schritt mehr vor den Nächsten setzen. Eine Bank ist aber nicht in Sichtweite und umdrehen möchte ich auch nicht.
Oase der Ruhe
Zähneknirschend und leise wimmernd stapfe ich Serpentine um Serpentine nach oben. Aller Klagen zum Trotz schaffe ich auch diese letzte Hürde und stehe am letzten Gipfel des heutigen Tages. Erschöpft lasse ich mich in das weiche Gras fallen. Unter dem hölzernen Gipfelkreuz gönnen sich zwei Kletterer eine wohlverdiente Rast. Mehrere Kletterrouten in unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden führen ebenfalls auf den Tauernkogel. Ich lasse mir die warmen Sonnenstrahlen ins Gesicht scheinen und versuche, an nichts zu denken. Einfach loszulassen, die vibrierenden Muskeln zu entspannen und auf die eigene Atmung zu hören. Hier oben habe ich meinen Kraftplatz gefunden und weiß einmal mehr, warum ich die Bürde eines solchen Aufstiegs immer wieder auf mich nehme.
Die gesamte Tour im Überblick:
- Parkplatz Wengerau (1000 m) – Dr. Heinrich-Hackl-Hütte (1531 m): 1,5 Stunden
- Dr. Heinrich-Hackl-Hütte – Tauernscharte (2114 m): 1,5 Stunden
- Tauernscharte – Eiskogel (2321 m): 1 Stunde
- Eiskogel – Schartwand (2339 m): 1 Stunde
- Schartwand – Tauernscharte (2114 m): 1 Stunde
- Tauernscharte – Tauernkogel (2249 m): 0,5 Stunden
- Tauernkogel – Dr. Heinrich-Hackl-Hütte: 1,5 Stunden
- Dr. Heinrich-Hackl-Hütte – Parkplatz Wengerau: 1,5 Stunden
Fazit zur Tour: Die Drei-Gipfel-Tour ist nichts für schwache Beine. In mehreren An- und Abstiegen gilt es insgesamt 1850 Höhenmeter zu überwinden, was auch mich an meine Belastungsgrenze gebracht hat. Für all jene, welche über ausreichend zähe Oberschenkelmuskeln verfügen, ist die Tour ein optischer Leckerbissen mit traumhaften Ausblicken auf Felsen, die den Horizont zu küssen scheinen. Wasser ist allerdings Mangelware und sollte ausreichend mitgeführt werden. Wer die große Weite schätzt und gleich drei Einträge für sein Gipfelbuch sammeln möchte, dem sei diese Tour ans Herz gelegt. Jene, die diesen Gewaltmarsch ein wenig verkürzen möchten, empfehle ich eine Übernachtung auf der Dr. Heinrich-Hackel-Hütte. Diese liegt etwa zwei Stunden Fußweg von Wengerau entfernt. Nichtsdestotrotz ist und bleibt diese Tour nur etwas für erfahrene und ausdauernde Bergfexe.
Mein Tipp: Wenn dir drei Gipfel noch nicht genug sind, kannst du die Wanderung auf eine Vier-Gipfel-Tour ausdehnen. Unweit der Tauernscharte liegt der 2167 Meter hohe „Napf“, dessen nagelneues Gipfelkreuz erst im Oktober 2020 eingeweiht wurde.