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Im Reich der Seen: Wanderung durch den Klafferkessel

Ich reibe mir die Augen. Vorsichtig versuche ich, die Lider zu öffnen. Die Sicht ist noch ein wenig verschwommen. Nur langsam schärfen sich die Konturen. Zaghaft flicke ich die einzelnen Bruchstücke zusammen. Formen und Farben verwandeln sich in eine surreale Landschaft aus tiefblauen kleinen Seen, eingekesselt von einem bizarren Felsplateau. Die Umgebung wirkt wie die Kulisse eines Fantasy-Films. Um mich herum tummelt sich eine Schar fremder Menschen. „Wo zur Hölle, bin ich?“, frage ich mich. Hektisch rekonstruiere ich die letzten Stunden. Puzzlestücke, die sich nur langsam zu einem Gesamtbild fügen. Aufgewühlt suche ich nach einem vertrauten Gesicht. Mein Herz rast. Und plötzlich sehe ich wieder alles klar vor mir. Ich atme zwei Mal tief durch. Neben mir ein bekanntes Lachen. Scheinbar bin ich wohl kurz in der Sonne eingenickt.

Königstour Klafferkessel

Ich richte mich auf und ziehe meine Daunenjacke bis hoch zur Nasenspitze. Mittlerweile hat sich der Nebel vor die Sonne geschoben. Es ist ein wenig kalt, aber dennoch wunderschön. Die Zeit hat längst ihre Flügel ausgebreitet und ist von dannen gezogen. Mein Blick fällt auf die Uhr. Es ist bereits eine Dreiviertelstunde verstrichen, seit wir den Gipfel des Greifenberges gestürmt haben.

BergGreifenberg  
2618 Meter 
Schladming, Steiermark
WandernSchwierigkeit: schwer
Dauer: 9 bis 10 Stunden
Länge: 22 Kilometer
Aufstieg/Abstieg: 1650 Höhenmeter
Höhenprofil & Karte
HütteGollinghütte
Preintalerhütte
AnfahrtGebührenpflichtiger Parkplatz Seeleiten: Preise
Zum Google Maps Routenplaner

Wildes Wasser

Weit weg erscheint mir die Gollinghütte, von der wir heute Morgen aufgebrochen sind. Direkt von der Hütte führt der Weg in Richtung Greifenbergsattel. Der Wasserfall spielt seine Alpen-Symphonie. Der mächtige Hochgolling lässt sich die Sonne auf sein Haupt scheinen. Begleitet von einem tosenden Orchester stapfen wir in steilen Serpentinen den Berg hinauf. Am frühen Morgen liegt der Hang noch im Schatten, die Schweißperlen kullern dennoch. Es ist steiler, als ich angenommen habe. Kniehohe Alpenblumen und Gräser kitzeln auf der Haut. Schließlich werden die Wiesen dünner, der Untergrund felsiger. Ich konzentriere mich drauf, ein gleichmäßiges Tempo zu gehen, um meinen Puls in Zaum zu halten. „Nicht zu schnell!“, muss ich mich immer wieder selbst zügeln.

Der Sattelsee gibt bereits eine erste Kostprobe des späteren Augenschmauses. Die Fotos sammeln sich in Windeseile auf meiner Speicherkarte. „Kann es noch schöner werden?“, frage ich mich. Felsblöcke säumen den Weg zum 2618 Meter hohen Greifenberg. „Wie weit ist es denn noch?“, bringe ich meine Standard-Frage auf den Tisch. Mein Bauch kribbelt. Die Hände schwitzen. Geduld ist offensichtlich nicht meine Stärke. Ich weiß, dass die Anstrengung gleich vorbei sein wird und beiße noch einmal die Zähne zusammen. Gleich haben wir es geschafft.

Blick auf die Gollinghuette
Die Gollinghütte ist unser erster Zwischenstopp. Sie liegt malerisch zwischen saftig-grünen Wiesen im Schatten des gewaltigen Hochgollings.
Hochgolling
Der Hochgolling ist der höchste Gipfel der Schladminger Tauern. Beim Aufstieg zum Greifenbergsattel behalten wir ihn stets im Augenwinkel.
Zustieg-zum-Greifenberg
An manchen Stellen hält sich der Schnee bis in den Hochsommer.
Sitzend am Sattelsee in Schladming
Am Plateau des Greifenbergsattels vermittelt der in einer Mulde eingelagerte Sattelsee einen ersten Vorgeschmack auf die Seenlandschaft des Klafferkessels.

Steingrauer Irrgarten

Ich sitze im Schatten des eisernen Kreuzes. Wie ein heftiger Schauer prasseln die Eindrücke auf mich herab. Die unzähligen Seeaugen stechen aus der kargen Mondlandschaft hervor. Sie mustern mich mit ihrer Iris, die in den betörendsten Blau- und Türkistönen leuchtet. Hinter jeder Erhebung scheint ein weiterer See zu lauern. Die Landschaft wirkt so unberührt – als wären wir die Ersten, die ihre Fußabdrücke hinterlassen. Der Klafferkessel (2270 m) ist ein wahres Kleinod inmitten der Schladminger Tauern. Wie funkelnde Edelsteine ziehen die glitzernden Seen meine Aufmerksamkeit auf sich. Das Waldhorn drängt sich ins Rampenlicht und bäumt sich vor dem Oberen Klaffersee auf. Hochgolling, Greifenstein, Hochwildstelle und Hohes Schareck buhlen um die Gunst der Blicke.

Eine Welle des Glücks überrollt mich. Mein Herzschlag wird langsamer. In meinem Inneren spüre ich, wie die Waage wieder in Balance gerät. Ein Gefühl von Ausgeglichenheit, das ich nur am Berg erlebe. Meine Speicher füllen sich mit Lebenslust und Energie. Das Gedankenrad in meinem Kopf kommt zum Stillstand. Der Fokus liegt auf dem Moment, im Hier und Jetzt. Die letzten Stunden waren voller Konzentration. Nun habe ich Zeit, die Scheuklappen abzulegen und die Rundsicht zu genießen.

Ausblick auf den Klafferkessel vom Greifenberg
Von meinem Logenplatz am Gipfel des Greifenberges kann ich die stille Schönheit der Eiszeitseen in vollen Zügen genießen.
Klafferkessel-Ausblick
Ein idealer Platz, um wieder Kraft zu tanken und frischen Atem zu schöpfen.
Panoramablick am Greifenberg Gipfel
In einem satten Blau blitzen die Lacken zwischen den schroffen Felsspitzen hervor. Das Panorama lässt garantiert keine Wünsche offen.
Blick vom Greifenberg auf den Klafferkessel
Das Naturschutzgebiet war in der Würm-Kaltzeit vor 10.000 Jahren mit einem dicken Eispanzer überzogen. Nach der Eiszeit blieb eine einzigartige Landschaft aus Fels, schrofigem Gestein und mehr als 30 kleinen Seen übrig.

Aus der Schmiede der Eiszeit

Vom Greifenberg wandern wir steil hinab in den Kessel. Wo meine Füße ins Wanken geraten, helfen Stahlseile über die schwierigsten Passagen. Geröll-Abstiege zählen sicherlich nicht zu meinen Steckenpferden. Am liebsten würde ich einen großen Bogen um sie machen. Doch es bleibt keine andere Wahl und so tripple ich vorsichtig zur Oberen Klafferscharte hinab. Über Schutt-und Blockhalden gelangen wir schließlich in den Klafferkessel.

„Herrgott ist das kalt!“, rufe ich und weiche reflexartig einen Schritt zurück. Wir stehen am Ufer des Oberen Klaffersees. Die Kuppe der Hochwildsrelle spiegeIt sich in der gekräuselten Wasseroberfläche, das in allerlei kalten Farbschattierungen schillert. Die mehr als 30 Seen des Klafferkessels werden während des Sommers vom Firnschmelzwasser gespeist, das rundum von den Graten und Gipfeln der angrenzenden Berge herabströmt. Ihre Existenz verdanken die kleinen Naturpools der Eiszeit, in welcher die langsam fließenden Gletscher die Seebecken aufschürften. Ich strecke meine angeschwollenen Füße in das kalte Wasser. Nach und nach werden sie wärmer. Ich nehme einen tiefen Atemzug von der erfrischenden Bergluft. Idyllisch ist es hier. Meine Seele baumelt friedlich vor sich hin, während ich die sanften Bewegungen des Wassers beobachte.

Abstieg-vom-Greifenberg
Der Abstieg führt uns durch die ausgesetzte Flanke des Greifenberges hinein in den ungezähmten Klafferkessel.
Oberer Klaffersee Wandern
Der Obere Klaffersee liegt kurz vor dem Aufstieg auf den Greifenberg. Wer sich traut, kann hier den aufgehitzten Körper erfrischen oder einfach die Füße im Wasser abkühlen.

Im Spiegelkabinett

Die Schritte auf den weichen Moos- und Grasmatten fühlen sich an, als würde man auf Wolken laufen. Hin und wieder quillt das Wasser unter der Last meines Körpers durch den grünen Teppich. Die vielen kleinen Tümpel liegen wie auf einem Präsentierteller vor uns. Die Landschaft gewinnt von jedem neuen Standort aus interessante Züge. Wie in einem Spiegelkabinett zeichnen sich Himmel und Berge in den Wasserbecken ab. Vorbei am Unteren Klaffersee gelangen wir ans Ende des Kessels. Ich werfe den felsigen Spitzen einen letzten sehnsuchtsvollen Blick zu, bevor wir über die Untere Klafferscharte und das Lämmerkar zur Preintalerhütte absteigen, wo wir die letzte Nacht verbringen.

Das stundenlange Wandern steckt mir in den Beinen, aber ich bleibe motiviert und marschiere zügig in Richtung Hütte. Eine große Portion Kaiserschmarren später kuschle ich mich in mein Bett und schaffe es nicht allzu lange, die Augen offenzuhalten. Am nächsten Morgen lassen wir keine Zeit verstreichen und starten noch vor dem Frühstück zum eigentlichen Abstieg. Anfangs noch etwas steiler, wird der Weg hinunter bald flacher und schließlich fast eben in Richtung Riesachsee. Wir lassen die letzte Abkühlungsmöglichkeit ungenutzt und wandern vorbei an der Gfölleralm und der Kaltenbachalm. In Gedanken lasse ich die letzten Tage nochmals Revue passieren. Ein zufriedenes Lächeln zeichnet sich auf meinen Lippen ab. Ein Anflug von Wehmut überkommt mich. Aber ich bin sicher, dass ich von diesem Erlebnis noch länger zehren werde.

Seen inmitten des Klafferkessels
Während wir durch die faszinierende Komposition aus Fels und Moosmatten streifen, entdecken wir immer wieder neue, kleine Wasserbecken.
Klafferkessel-Schladminger-Tauern
Das Gewirr aus Lacken und Seen mit unterschiedlichen Färbungen sowie interessanten Spiegelungen ist unregelmäßig verstreut und verteilt sich im Klafferkessel auf mehrere Ebenen.
Untere Klafferscharte
Über die Untere Klafferscharte verlassen wir die hochalpine Seenlandschaft des Klafferkessels und beginnen den Abstieg zur Preintalerhütte.
Blick von oben auf die Preintalerhuette
Um den Abstieg ein wenig zu verkürzen, legen wir eine zweite Nacht auf der Preintalerhütte ein.
Riesachsee
Am wunderschönen Riesachsee im Herzen der Schladminger Tauern liegen mehrere bewirtschaftete Almen.

Die gesamte Dreitagestour im Überblick:

  • Parkplatz Riesachfälle (1656 m) – Gollinghütte (1641 m): 2 Stunden
  • Gollinghütte – Greifenberg (2615 m): 3 Stunden
  • Greifenberg – Obere Klafferscharte (2520 m): 1 Stunde
  • Obere Klafferscharte – Preintalerhütte (1656 m): 1,5 bis 2 Stunden
  • Preintalerhütte – Parkplatz Riesachfälle: 1,5 bis 2 Stunden

Fazit zur Tour: Die Königstour in der Schladminger Wasserwelt hat ihren Namen nicht von ungefähr. Insgesamt dauert die Wanderung je nach Geschwindigkeit zwischen 8 und 10 Gehtstunden. Es ist natürlich möglich, diese als Tagestour zu gehen, hierfür muss man aber konditionell richtig gut in Form sein. Zudem hat man weniger Zeit, die Schönheit des Klafferkessels zu genießen. Nächtigungsmöglichkeiten gibt es sowohl auf der Gollinghütte als auch auf der Preintalerhütte. Wir haben die Tour in insgesamt drei Tagen bewältigt. Technisch gesehen ist nur der Abstieg vom Greifenberg etwas schwieriger, hier helfen aber Stahlseile über die heiklen Stellen hinweg. Die spektakuläre Wanderung zählt landschaftlich sicherlich zu den eindrucksvollsten Touren, die ich bisher gemacht habe.

2 comments

    1. Hallo Jürgen! Danke für deine Rückmeldung! Die Tour ist wirklich wunderschön und wird dir sicherlich gut gefallen 🙂 LG Simone

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