Mit einem Fuß in Österreich, mit dem anderen auf slowenischem Staatsgebiet. Auf über 2000 Metern Höhe zieht sich die Grenze beider Länder mitten durch das schroffe Felshaupt des Hochstuhls. Nur mehr einen Katzensprung entfernt, liegt der Gipfel des höchsten Berges der Karawanken. Mein Magen knurrt und sehnt sich nach einer großen Portion Kohlenhydrate. Ich blicke auf die Schwielen an meinen Fingerkuppen. Die blauen Flecken um meine Knie wandeln sich zu einem Gesamtkunstwerk. Und obwohl ich meinen Körper die Nordwand hoch geschunden habe, spüre ich es wieder: das Klettersteig-Gefühl.
Inhaltsverzeichnis
Mein Herz tanzt
Das Klicken und Rattern der Karabiner entlang des Stahlseiles sind wie Musik in meinen Ohren. Ein vertrautes Geräusch, das mich in freudige Erregung versetzt. Ein Geräusch, das Abenteuerlust und Spannung in mir aufkeimen lässt. Der Einstieg zum Hochstuhl-Klettersteig ist ein Sprung ins kalte Wasser. Obwohl es die anspruchsvollste Passage ist, überwinde ich sie ohne mit der Wimper zu zucken. Die Schwierigkeit des Eisenweges ist lediglich mit „mäßig“ (B) bewertet. Meine Grenzen touchiere ich somit noch lange nicht. Umso mehr kann ich mich auf den Fels konzenrieren und ein wenig an meiner Klettertechnik feilen.
Berg | Hochstuhl (slow.: Veliki Stol) 2237 Meter Feistritz im Rosental, Kärnten |
Klettersteig | Hochstuhl-Klettersteig (B/C, 1-) Zustieg: 1 Stunde Abstieg: 2,5 Stunden Kletterzeit: 2,5 Stunden Steighöhe: 550 Höhenmeter Gesamthöhe: 1150 Höhenmeter |
Hütte | Klagenfurter Hütte Prešernova koča na Stolu |
Anfahrt | Parkplatz Johannsenruhe Zum Google Maps Routenplaner |
Ganz in meinem Element
Den Körper an die Wand gepresst, blende ich sämtliche äußere Einflüsse aus. Der Fokus liegt voll und ganz auf der Suche nach der optimalen Route durch das Felsenmeer. Jeder Tritt, jeder Griff ist penibel durchdacht, um möglichst effizient durch die Wand zu steigen. Im Wechselspiel von Kletter- und Gehpassagen rückt der Gipfel immer näher.
„Dreh dich doch mal um!“, ruft mir Mario entgegen. Die Jungs sind mir bereits ein paar Meter voraus und stehen oben an der Scharte. Ich leiste seinen Worten Folge und unterbreche meinen Gehrhythmus. Eine mächtige Felswand erhebt sich hinter meinem Rücken. Der Anblick ist so spektakulär, dass ich nach Worten ringen muss. Eine Szenerie, so atemberaubend schön, dass mein Herz einen Sprung macht und mich eine Welle des Glücks durchströmt. Die raue Mondlandschaft erscheint wild und unbezwingbar. Gleichzeitig hat sie eine entspannte Wirkung auf mein Gemüt. Wacker habe ich mich bis hier oben geschlagen. Mein Selbstbewusstsein wächst mit jedem Klettermeter. Frei von den Fesseln des Alltags fühle ich die Abenteuerlust in mir hochsteigen.
Zwei auf einen Streich
„Wenn mich nicht alles täuscht, ist das doch Bled“, versuche ich meine Geografiekenntnisse am Weg zum Gipfel ins Spiel zu bringen. Und tatsächlich: unten im Tal liegt der Bleder See mit der Marienkirche. Am höchsten Punkt der Karawanken zeigt sich Stück für Stück das umwerfende Panorama. Bei klarem Wetter grüßen aus Slowenien die Stadt Jesenice, der höchste Berg Sloweniens, der Triglav, der Veldeser See und die Wälder der Poklkuka. Von Osten blinzelt die Vertatscha zwischen der Wolkendecke hervor. Die Gipfel von Weinasch, Kahlkogel und Mittagskogel zeigen sich in westlicher Richtung. Das Gipfelkreuz liegt uns zwar zu Füßen, ein Erinnerungsbild gibt es trotzdem.
Wir machen nun einen Abstecher nach Slowenien, denn der Kleinstuhl-Gipfel (Mali Stol) mit der Prešeren-Hütte liegt nur wenige Meter vom Gipfel des Hochstuhls entfernt. In Vorfreude auf eine gemütliche Einkehr und eine warme Stube werden meine Schritte flotter. Angekommen an der Hütte stehen wir jedoch unerwartet vor verschlossener Tür. Der Wirt ist zwar vor Ort, die Räumlichkeiten aber noch nicht für Gäste geöffnet. Als wir es uns gerade auf einer Bank vor der Hütte gemütlich machen wollen, trifft mich etwas auf der Nase. „Spürt ihr auch die Tropfen?“, frage ich die anderen beiden. Meine Vermutung wandelt sich schneller in Gewissheit, als mir lieb ist. In Windeseile packen wir unsere Habseligkeiten in den Rucksack und retten uns unter das Dach. Der Hüttenwirt gewährt uns immerhin Einlass in den Eingangsbereich und so wird die Gipfeljause zu einem Stehkonzert mit Regenorchester.
Durch die Steinwüste
Eine Dreiviertelstunde später ist das Spektakel vorbei und wir starten zum Abstieg nach Osten hinunter zum Bielschitza-Sattel und von dort zur Klagenfurter Hütte. Der Weg hinab wandelt sich nach und nach von einem Schottersteig zum Geröll-Parkett. Ich tänzle mehr oder weniger galant über die Felsbrocken und brauche meine ganze Aufmerksamkeit, um potenzielle Tritte in dem unwegsamen Gelände zu erkennen. Dort, wo der Weg im Geröll verschwimmt, braucht es gute Orientierungsfähigkeiten. Mehrmals müssen wir anhalten, um nicht irrtümlich ein paar Extrameter einzulegen. Angekommen auf der Klagenfurter Hütte, kann ich nun endlich meinen Energiehaushalt ins Lot bringen. Eine große Portion Kaiserschmarren erweckt meine Lebensgeister. Die letzten Meter führen über die Forststraße zurück zum Parkplatz. Ich werfe einen sehnsuchtsvollen Blick auf das Felsmassiv und bin überaus dankbar für den heutigen Tag. Einen neuen Gipfel, ein neues Gebirge und einen ersten Eindruck von der schönen Bergwelt Kärntens habe ich auf der Rückreise im Gepäck.
Fazit zur Tour: Die Tour auf den Hochstuhl war (zu meiner Schande) meine erste Bergtour in Kärnten. Aufgrund seiner geringen Schwierigkeit konnte ich den Klettersteig in vollen Zügen genießen. Zwischendurch gibt es immer wieder ungesicherte Passagen, man sollte daher über die nötige Trittsicherheit verfügen. Beim langen Abstieg über das Geröll machen sich Wanderstöcke jedenfalls bezahlt. Der Grenzberg hat mich zweifelsohne in seinen Bann gezogen und Lust auf weitere Touren in den Karawanken gemacht.
War wieder sehr interessant. Deine Beschreibung gibt einem fast das Gefühl, selbst da gewesen zu sein 😊
😘 Papa