Meine Füße stecken plötzlich knöcheltief im weichen Schnee. Der Wanderpfad liegt verborgen unter einem weißen Gewand, dessen einstige Pracht von der Vergänglichkeit gezeichnet ist. Es ist ein Kampf zwischen dem aufkeimenden Frühling und dem endenden Winter, der den warmen Temperaturen mit letzter Kraft Paroli bietet. Meine Gedanken pendeln zwischen Rückzug und Offensive. Schließlich obsiegt der Drang, auf den Gipfel zu gelangen, und ich schiebe die Zweifel beiseite.
Inhaltsverzeichnis
Ein Stück vom Paradies
Ich sitze im Windschatten einer idyllischen Almhütte und lasse die Sonnenstrahlen in mein Gesicht scheinen. Hier oben auf dem Grassattel der Gennerhalm (1295 m), am Fuße des mächtigen Gennerhorns, tummeln sich zahlreiche Hütten inmitten saftig-grüner Wiesen. Ein herrlicher Ort für eine kurze Rast. Ich genieße die Stille und lausche der Melodie der Natur. Es ist ein Zustand der Glückseligkeit. Ein Gefühl innerer Zufriedenheit durchströmt jede Faser meines Körpers. Die Abgeschiedenheit der Bergwelt lässt meinen Geist zur Ruhe kommen. Rund 1,5 Stunden dauert der Aufstieg vom Parkplatz Lämmerbach zu diesem Ruhepol. Auf dem Weg entlang des Waldsteiges keimt in mir bereits die Vorfreude auf den bevorstehenden Tag. Das Plätschern der kleinen Bäche und das Rauschen der Blätter sind unsere Begleiter.
Berg | Hoher Zinken und Osterhorn 1764 Meter und 1746 Meter Hintersee, Salzburg |
Wandern | Schwierigkeit: mittel Dauer: 6 Stunden Länge: 13,4 Kilometer Aufstieg/Abstieg: 1150 Höhenmeter Höhenprofil & Karte |
Hütte | Posch’n Hütte |
Anfahrt | Parkplatz Lämmerbach Zum Google Maps Routenplaner |
Kühler Kopf oder weiche Knie?
Der Weg zum Hohen Zinken zweigt von der Genneralm nach links ab und führt vorbei am markanten Holzeck (1602 m). Am Ende der Schotterstraße erspähen wir die Markierungen versteckt an Baumstämmen und Felsbrocken. Aus der Ferne betrachtet scheint der Anstieg kein Hexenwerk zu sein. Im Rausch des Gipfelsturms steige ich Kurve um Kurve den lichten Wald empor. Unerwartet wird mein Enthusiasmus ausgebremst. Ich starre auf den Boden. Das Braun des feuchten Erdreichs ist weiß-grauen Flocken gewichen. Wie es scheint, weigert sich der Winter beharrlich, sein Zepter aus der Hand zu geben. Wir wechseln zwar verdutzte Blicke, Gedanken an eine Umkehr machen sich dennoch nicht breit.
Um meine Energiereserven zu schonen, trete ich achtsam Schritt für Schritt in die Fußstapfen meiner Vorgänger. Wo immer möglich, versuche ich, den Schneefeldern auszuweichen. Die gemütliche Wanderung wandelt sich zu einem Zickzackkurs den steilen Wald hinauf. Mein Blick fixiert den dicht bewachsenen, von feuchtem Blätterwerk und verstrickten Ästen bedeckten Boden. Mit zunehmender Hangneigung macht sich ein leicht mulmiges Gefühl in meiner Magengegend breit. Querfeldein erklimme ich den Wald. Meine Sinne sind auf die Suche nach möglichen Tritten fokussiert. Die alternative Route kostet mich viel Kraft und zehrt an meinem Nervenkostüm. Doch mit jedem bezwungenen Höhenmeter manifestiert sich auch der Siegeswille in meinem Kopf. Schließlich ist es geschafft und ich trete aus der Waldgrenze heraus.
Mutterseelenallein am Hohen Zinken
Die beinahe schneefreien Bergweiden sind nicht weniger steil, der anstrengende Aufstieg steckt mir noch tief in den Knochen. Ich mobilisiere meine letzten Kraftreserven. Meine Beine sind schwer wie Blei, die Muskeln kribbeln und brennen. Langsam wird der Weg flacher und aus heiterem Himmel, versteckt hinter dichten Latschenfeldern, lugt schließlich das Gipfelkreuz des Hohen Zinkens hervor. Menschenleer präsentiert sich das Kruzifix vor der Kulisse von Gennerhorn, Gruberhorn, Regenspitz, Dachstein, Schafberg, Göllmassiv, Totem Gebirge und Tennengebirge. Eine kühle Brise wechselt mit wärmenden Sonnenstrahlen. Die wohlverdiente Gipfelrast bringt meinen Energiehaushalt wieder ins Lot.
Kammwanderung zum Osterhorn
Ein weiterer Gipfel steht heute noch auf unserer Liste. Das Osterhorn liegt nur 30 Minuten vom Hohen Zinken entfernt und ist mit diesem durch einen Grat verbunden. Der kleine Gipfel versüßt uns die Tour mit einer wundervollen Aussicht auf den Wolfgangsee und die umliegende Bergwelt. Der Blick auf die Uhr verrät, dass es Zeit für den Abstieg ist.
Die Strecke bis zur Waldgrenze lege ich leichtfüßig zurück. Schließlich treffe ich erneut auf die unliebsamen Schneefelder. Meine Knie flattern, mein Puls schellt nach oben. Mit vollem Gewicht stemme ich meine Fersen in den weichen Schnee. Nach den ersten zögerlichen Schritten fasse ich Mut und erhöhe mein Gehtempo. Weniger schlimm als befürchtet gleite ich ein Schneefeld nach dem anderen hinab. Ich klopfe mir gedanklich auf die Brust. Meine Mundwinkel formen sich zu einem breiten Grinsen. Mein Herz macht Luftsprünge. Die Prüfung ist geschafft. Dem entspannten Heimweg steht somit nichts mehr im Wege.
Fazit zur Tour: Wer nicht gerade in der Zwischensaison auf den Hohen Zinken steigt, erlebt eine technisch einfache, aber mit insgesamt 1150 Höhenmetern dennoch anspruchsvolle Tour. Eine weitere Kombinationsmöglichkeit ist der zusätzliche Aufstieg auf den Pitscherberg (1720 m), wobei diese Drei-Gipfel-Wanderung mit insgesamt 1670 Höhenmetern zu Buche schlägt und nur von ausdauernden Bergsportlern begangen werden sollte.