Schon lange üben die Dolomiten eine Faszination auf mich aus. Bizarre Türme, schroffe Felswände und dazwischen friedliche Bergseen – kaum eine Bergszenerie bietet ihren Besuchern so viel Abenteuer wie die Südtiroler Riesen. Und wer kennt die Dolomiten wohl besser als Reinhold Messner? Der in Brixen geborene Extrembergsteiger hat seine Heimatliebe einmal so formuliert:
Ein halbes Menschenleben lang bin ich bis an die Ränder der Erde geklettert, gegangen oder gekrochen. Auf Knien bis zur Spitze des Mount Everest. Dabei habe ich die größten Gebirge und exotische Felsen in Neuguinea, Patagonien und der Sahara bestaunt. Nirgendwo sonst aber habe ich eine so beeindruckende Felsenwelt wie die Dolomiten vorgefunden.
Reinhold Messner, italienischer Extrembergsteiger, Abenteurer und Buchautor
Das Projekt „Dolomiten ohne Grenzen“
Am 9. Juni 2018 lässt es sich Messner darum nicht nehmen, höchstpersönlich eine neue Klettersteigtour mit dem Namen „Dolomiten ohne Grenzen“ zu eröffnen. Das Projekt wurde aus der Idee heraus geboren, dass die Dolomiten nicht länger eine Barriere, sondern ein Ort der Zusammenkunft und Freundschaft sein sollen. Denn Stacheldraht, verrostete Konservendosen und zahlreiche verfallene Stellungsbauten zeugen noch heute von der Schlacht an der Dolomitenfront zwischen Österreich-Ungarn und Italien von 1915 bis 1917.
Der heutige Höhenweg umfasst insgesamt zwölf historische Klettersteige sowie siebzehn Hütten und verbindet dabei Italien mit Österreich. Wer den gesamten Weg bezwingen möchte, benötigt hierfür rund neun Tage. Da ich insgesamt nur zehn Tage Urlaub zur Verfügung habe, entscheide ich mich für eine abgekürzte Variante von vier Tagen entlang der größten Highlights der Sextner Dolomiten.

Alle Infos zum Projekt findet ihr unter diesem Link.
Ankunft in den Sextner Dolomiten
Die Begrüßung fällt nass aus. Mit einem heftigen Regenguss heißt uns die Bergwelt der Dolomiten Willkommen. Es ist mein erster Besuch in den laut Messner „schönsten Bergen der Welt“ und schon von Weitem sind die wilden Spitzen am Horizont zu erspähen. Wir parken unser Auto in der Nähe der Lunelli Hütte (1568 m) inmitten der Sextner Dolomiten, von wo aus unsere viertägige Tour startet. Noch ist das Wetter trocken. Wir packen daher zügig alles Nötige in den Rucksack und starten noch am selben Tag zur Berti-Hütte, die rund eine Gehstunde entfernt liegt.

Etappe: Lunelli Hütte – Carducci Hütte
Wandern | Schwierigkeit: schwerer Bergweg mit Klettersteig Dauer: 9,5 bis 10 Stunden Länge: 7,2 Kilometer Aufstieg: 1900 Höhenmeter Abstieg: 1100 Höhenmeter Höhenprofil und Karte |
Klettersteig | Via Ferrata Roghel (D) Zustieg: 1,5 Stunden Abstieg: 1 Stunde Kletterzeit: 1 bis 1,5 Stunden Via Ferrata Cengia Gabriella (C) Zustieg: 20 Minuten vom Ausstieg des Via Ferrata Roghel Abstieg: 1,5 Stunden Kletterzeit: 2,5 Stunden Gesamthöhe: 1000 Höhenmeter (beide Klettersteige) |
Hütte | Ausgangspunkt: Rifugio Berti Lunellihütte Endpunkt: Rifugio Carducci |
Anfahrt | Parkplatz bei der Lunellihütte Zum Google Maps Routenplaner |
Auf der Berti-Hütte angekommen, gönnen wir uns eine große Portion Gemüsesuppe und im Anschluss – schließlich sind wir in Italien – einen Teller Spaghetti. Die Stimmung auf der Hütte hat bereits ihren feucht-fröhlichen Zenit erreicht. Wir schlüpfen jedoch früh in unsere Stockbetten, denn am nächsten Tag steht der anspruchsvollste Teil der gesamten Tour an.
Die wilde Seite der Dolomiten: Ferrata Roghel
Es ist 7 Uhr morgens und die Bergwelt ist soeben aus ihrem Schlaf erwacht. Von der Hütte steigen wir in südöstlicher Richtung zum Wildbach ab, wo nach ca. 200 Metern der Anstieg des großen Geröllfeldes beginnt, welches in den Weg Nr. 152 mündet. Bereits hier lässt sich erahnen, dass diese Tour ihren Krafttribut fordert. Auch mich führt diese Etappe an den Rand meiner persönlichen Leistungsgrenze. Dafür aber begegnet uns auf der gesamten Strecke nur eine einzige Menschenseele. Die Blicke auf die schroffen Zacken der Dolomiten bleiben somit unseren Augen vorbehalten.


Der erste Klettersteig, der Ferrata Roghel (2560 m), bietet eine wunderschöne Sicht auf die Gipfel der Hochbrunner Schneid und des Ciadin de Stallata. Der Steig ist sehr steil und das alte Stahlseil ist teilweise beweglich und locker zwischen den sehr weit auseinanderliegenden Verankerungen. Eine gute Klettertechnik sowie alpine Erfahrung sind deswegen unbedingt notwendig, um den Steig gefahrlos zu begehen. Außerdem ist der Fels brüchig, sodass mit Steinschlaggefahr zu rechnen ist. Der Abstieg erfolgt über die Rückseite der Forcella tra le Guglie (2550 m) über Stahlseile nach links zur Westflanke der Prima Guglia di Stallata und weiter zur Geröllschlucht am Wandfuß. Der Abstieg hat mir ehrlich gesagt Schweißausbrüche bereitet, denn noch nie musste ich einen so schwierigen Steig absteigen. Auch wenn man es kaum glauben mag, habe ich immer wieder mit Höhenangst zu kämpfen. Nur dank des Zuredens meiner Begleitung konnte ich mich schließlich überwinden.


Im Hochtal des Ciadin di Stallata angekommen, genießen wir einen schönen Blick ins Tal und auf das markante rote Biwak Battaglione Cadore, das man als Notschlafstelle nutzen kann. Wolken und Nebel schieben sich stetig durch die imposanten Felswände, doch der Regen stattet uns heute keinen Besuch ab.
Über den Monte Giralba: Ferrata Cengia Gabriella
Vom tiefsten Punkt im Hochtal des Ciadin di Stallata (2300 m) führt uns ein Weg zum zweiten Steig, dem Ferrata Cengia Gabriella, der durch die Ost- und Südflanke des Monte Giralba di Sotto hin zu seiner Westwand geht. Der Steig wird wenig begangen, die Aussicht auf das mächtige Gestein ist dafür umso großartiger. Alle ausgesetzten Passagen entlang der Felsbänder und Terrassen sind gut mit Stahlseil gesichert, die Schwierigkeit der Kletterpassagen ist geringer als beim Roghel-Klettersteig.





Beim Abstieg schießt abermals Adrenalin durch meinen Körper, da wir erneut über den Steig hinunter ins Kar am Fuße des Berges müssen. Mittlerweile bin ich ziemlich am Ende meiner Kräfte, versuche aber positiv zu denken und nicht aufzugeben. Der Weg zur Carducci Hütte (2297 m) führt schließlich durch das Val Giralba Alta. Da ich mehr Pausen als gedacht brauche, kommen wir viel zu spät dort an und fallen erschöpft in unsere Betten. Meine Fußsohlen brennen, meine Muskeln zucken und ich habe das Gefühl, keinen einzigen Schritt mehr gehen zu können. Und doch habe ich mehr geschafft, als ich je von mir gedacht hätte. Stolz hülle ich mich in die dicke Decke und träume von unserem ersten Tag in den ungezähmten Bergen Südtirols.
Die gesamte Etappe im Überblick:
- Lunelli Hütte – Berti Hütte: 1 Stunde
- Berti Hütte – Einstieg Roghel Klettersteig: 1,5 Stunden
- Roghel Klettersteig (Schwierigkeit D): 2 Stunden
- Cengia Gabriella Klettersteig (Schwierigkeit C): 4 bis 4,5 Stunden
- Ende Klettersteig – Caducci Hütte: 1 Stunde
Zum Blogbeitrag der 2. Etappe „Carducci Hütte – Dreizinnenhütte“


Extrem cooler Bericht! Und Hut ab, a wüde Tour!
Oh ja, die war wirklich wild haha! Aber was wäre das Bergsteigen ohne Abenteuer! Wer keine taube Zehe hat, wandert eindeutig zu wenig 😂